Vier Uhr dreißig. Siri schein das mit dem frühen Vogel wirklich sehr erst zu nehmen. Meine Laune ist im Keller. Ich hoffe, sie bringt Wein mit.

Ich versuche meine Augenlider nach oben zu ziehen. Erst das linke, dann das rechte. Für beide gleichzeitig habe ich keine Kraft. Ich glaub da hängen Gewichte dran. Viele schwere Gewichte. Mein Hirn verweigert jegliche Kontrolle über meinen Körper. Und es ist ja auch egal mit welchem Fuß ich jetzt aufstehen würde, es ist sowieso der Falsche. Fazit: Ich brauch mehr Füße.

Apropos Füße: In den letzten Monaten habe ich gelernt, morgens nach dem Aufwachen ist es in meinem Alter wichtig, erst einmal zu überprüfen dass kein Zettel am grossen Zeh hängt. Erst dann macht es Sinn sich über die Tagesplanung ernsthafte Gedanken zu machen.

Vier Uhr vierzig. Ich war kurz motiviert aufzustehen. Ich hab das aber schnell wieder in den Griff bekommen. 

Vier und fünfzig. Ich versuche es noch mal mit einem anderen Fuß.

Ich fühl mich krank. Hab schnell Symptome gegoogelt. Diagnose: Ich bin ein über 60-jähriger stark übergewichtiger Wellensittich mit Probleme an der Zylinderkopfdichtung und der seit 3 Tagen tot im Käfig liegt. Der Tag verspricht deutlich Potential nach oben.

Ja, Doktor Google ist ne lustige Sache. So richtig lustig wird es dann aber erst bei einem richtigen Arzt. So einem mit einer weißen Hosen und nem Poloshirt. Mit dem Blick der keinen Zweifel aufkommen läßt: Du bist ein 60-jähriger stark übergewichtiger Wellensittich mit Probleme an der Zylinderkopfdichtung und seit 3 Tagen tot. Widersprechen wäre wahrscheinlich keine gute Idee. Man sollte nicht vergessen, er sitzt am anderen Ende der Nadel. 

Ich werde noch einmal ins Wartezimmer gebeten. Wahrscheinlich googelt Dr. House schnell noch einmal was ich wirklich haben könnte und welche Nadel die größte ist, die man verwenden kann. In der Zwischenzeit vertreibe ich mir die Zeit mit Singen und Klatschen im Wartezimmer. Ich rechne mal kurz hoch: Die Zeit, die ich in den letzten Monaten in einem Wartezimmer verbracht habe würde locker ausreichen, um selbst mit einem Medizinstudium anzufangen. 

Ja, es ist nun fachärztlich diagnostiziert: Ich bin nicht krank, ich bin alt. Der Lack ist ab. Es täuscht auch kein großes Pflaster mit Marienkäfern oder lustig bunten Luftballons darüber hinweg. Ich muss der Tatsache nun ins Auge sehen. Ich darf nichts mehr machen, bei dem mir mein Körper am nächsten Tag leise ins Ohr flüstert: Mach das nie wieder! 

Tiefergehendes Nachfragen habe ich uns beiden erspart, denn ich weiß Dr. House hat weder die Geduld noch die Buntstifte es mir genau zu erklären. Ich bin dann erst einmal hinkend durch die Stadt gelaufen um mir was gegen die Kopfschmerzen zu kaufen. Schuhe oder so.

Aber was soll ich sagen, ich bin wirklich froh dass ich neben meiner Jugend nicht auch noch meinen Humor verloren habe.

Aber das alles war gestern. Jetzt ist es sieben Uhr sechsunddreißig: Eins muss ich meiner Müdigkeit ja lassen. Kondition hat sie.

10:15 Uhr. Stretching auf Deck 16. Das ist sowas, was ich immer vor dem Fernseher mache, wenn die Chipstüte ungünstig auf dem Tisch platziert wurde. Das einzige was bei mir stretchen kann, ist die dunkelblaue Hose mit 100% Elastan. Mit guten alten Traditionen sollte man einfach nicht brechen.

Beim Schiffsquiz sind wir eben gnadenlos untergegangen. Ich wusste zwar, auf welchem Deck sich unsere Kabine befindet, aber wir hatten einfach keine Ahnung, wie der adoptierte Hund des Kapitäns heißt und wann seine Schwiegermutter das letzte Mal Miracoli für die Familie serviert hat. Das waren aber auch wirklich sehr knifflige Fragen um ein MSC T-Shirt zu gewinnen, dass in der Größe XS seit Wochen ein gefragter Ladenhüter ist.

11:00 Uhr: Der Tanzkurs verlangte seinen Probanten wieder einmal alles ab. Arme und Beine gleichzeitig zu bewegen und damit niemand umliegenden zu verletzten, dabei noch grundentspannt grazil auszuschauen und sich der Herausforderung stellen, weich dem Rhythmus zu folgen. Das ist wie Nägel lackieren und gleichzeitig Steckrüben putzen. Hier treffen extrovertierte Hobbyfoxtrotttänzer die unbedingt zeigen wollen, was keiner sehen möchte auf introvertierte Entschleunigungsfanatiker, für die die Zeitlupe reisen mit Warpgeschwindigkeit ist. Eine dritte Gruppe sind die Undercover-Ninjas, die sich mit kampfsportähnlichen und katzenartig geschmeidigen Bewegungen von Note zu Note kämpfen. Die Katze ist jedoch schon weit über ihre 9 Leben hinaus und geht an Krücken. 

Ja, ich weiss, ich als Bewegungslegasteniker habe sehr viel Meinung für so wenig Ahnung. Aber ich möchte sie wenigsten weit in die Welt hinaus tragen.

11:45 Uhr: Das Animationsteam betritt Deck 16. Nicht einmal eine 100prozentig Taubheit hätte garantieren können, den Einzug auf die Bühne zu überhören. Der Italiener an sich ist ja bereits sehr lautstark konstruiert, mit einem Mikrofon in der Hand potenziert sich der Lärmpegel jedoch ins Unermessliche. Als uns mehrfach zwei Kampfjets krachend und nur knapp über den Schornsteinen überflogen, war noch immer ihre kreischende Stimme zu hören. Ein Duett zusammen mit Mr. Tonno würde sämtliche Rekorde sprengen und meinen Tinnitus dazu animiert mitzufiepen.

Wetter: irgendwas zwischen 20 und 25 Grad, windig
Nächster Hafen: Warnemünde, Deutschland

Die Show heiß Eclipse. Es gab keinerlei Vorankündigung welch musikalisch anspruchsvolles Programm auf die Trockengebiete der vorderen Hirnlappen treffen würde. Schnell noch zur Einstimmung „Hoch auf den gelben Wagen“ leise vor sich hin gesummt und die Noten des Flohwalzers visualisiert und dann rein ins kulturelle Vergnügen.

Die ersten 20 Sekunden dachte ich, es findet noch das Einsingen statt. Aber da habe ich wohl das Talent von Mister Tonno bei weitem unterschätzt. Er traf jeden Ton, allerdings eher mit dem Stein als mit dem seinen zarten Stimmbändchen. Nun, wie kann ich es realitätsnah beschreiben ohne dabei das wesentliche aus den Augen zu verlieren. Es klang … es klang wie ein kastriertes Zwergkaninchen, dass in seinem bedauernswerten Leben mehrere biologische Kampfeinsätze und die Tschernobyl-Katastrophe in der ersten Reihe überlebt hat. 

„It´s my Life“ von Jon Bon Jovi mutierte Dank des breiten Interpretationsspielraums zu einem volkstümlichen Lied des sorbischen Klöppelvereins von Lübbenau. Das Wissen, darum, dass der musikalische Leckerbissen in ca. drei Minuten beendet sein und meine flatternden und verzweifelt den Notausgang suchenden Ohrhärchen wieder in ihren Normalzustand zurück kehren würden, widersprach den unendlich lang gestreckten Tönen, die sich schonungslos und ungebremst in meinem Trommelfell bohrten. Und so wurde aus einem temposchnellen Softrocklied die Hymne des Titanikklassikers – interpretiert in der unmittelbaren Nähe zum hohen C und gestreckt wie ein Stabhochspringer bei der Überquerung der Latte in 5m Höhe.  

Kultur kann wirklich grausam sein.

Wetter: 19 Grad, Sonne und ein fetter Schauer
Nächster Hafen: Tallinn, Estland

Willkommen im Land von Pipi Langstrumpf und den Halfdan Skallagrimsson, dem furchtlosen Wikinger mit rotem Haar und langem Bart, der den Mittagstisch der letzen zwei Wochen präsentieren konnte.

Der erste Land! Der erste Ausflug! Es ist mindestens genau so aufregend wie der erste Mal Kaugummi tauschen im Kindergarten. Gut vorgekaut natürlich und ohne Rückstände jeglicher Geschmacksreste. Aber wen interessiert schon der Geschmack, wenn Martin der coolste 5jährige ist, der keinen Honig aß, sondern Bienen kaute. Martin, der seinen Namen in Beton pinkeln konnte und seinen Knoppers schon um 9 aß.

!4 Uhr. Treffpunkt Deck 7. Die hungrige Meute versammelt sich um das Opferlamm. Ein Spaziergang durch Visby. Es gibt zahlreiche Verhaltensregeln, die alle nicht in eine kleine Handfibel passen. Ich merke mir einfach was ist darf: Nichts. Nicht die Maske abnehmen, nicht im Bus essen, nicht die Gruppe verlassen, nichts anfassen, nichts kaufen, nirgends reingehen. Das alles bei einem Ausflug zu befolgen ist wie Zähneputzen mit einem Nutellabrötchen im Mund.

Es gab viel zu sehen. Alte Steine, winzige Häuser, blühende Rosen und sogar ein Mittelalterfest wurde für uns aufgebaut. Ich sah sie alle! Odin, Freya, Loki, Tyr, Baldar und den weißen. Labrathor. Pipi und Halfdan haben wir leider nicht getroffen. Es ging hartnäckig das Gerücht um, die sind in Kwarn…, Gwaran.., Qwaran..,Cwaran.., die mussten zu Hause bleiben.

Wetter: 23 Grad, sonnig
Nächster Hafen: Nynäshamn, für weniger Geographiebegabte: Nähe Stockhom, Schweden.

Erwiesenermaßen nimmt man auf einer Kreuzfahrt 5 kg zu. Die einen sagen vom Essen. Ich sage, leicht gebräunte Haut wiegt schon mal mindestens 3 kg mehr. 2 kg würde ich meinem spontan ausgeprägten Haar- und Nagelwachstum zuschreiben. Solange man mich bei einer Sitzplatzreservierung nicht als Gruppe identifiziert, esse ich weiterhin diese wunderschönen rosafarbenen Baiserkekschen mit dem kecken Klecks oben drauf. 

Heute war Seetag. Viel gesehen habe ich allerdings nicht. Wasser war da, viel Wasser, sehr viel Wasser. Und den medizinischen Bereich auf Deck 4 haben wir erkundet. Bis man diesen allerdings gefunden hat, würde der ein oder andere Gast ab einer mittelschweren Verletzung sicher unterwegs schon zwei- bis dreimal sein komplettes Leben an sich vorüberziehen sehen. Ich habe kurz darüber nachgedacht nach Rückkehr in Deutschland einen Pfadfinderkurs zu absolvieren, um auch in einer solch extremen Situation den Kaugummi entspannt weiter kauen zu können.

„Happi Oxygen“ stand auf dem Schild mit diesem langen durchsichtigen Schlauch. Das hätte ich gut gebrauchen können, als sich die spitze Kanüle zielsicher durch die gebräunte Haut zwischen Mittel- und Ringfinger in die hervortretende Vene bohrte. Das Gute, es war nicht meine Hand. Ich habe bedauerlicher Weise nur im denkbar schlechtesten Moment hingeschaut und wäre beinahe als weiterer Patient in die Tagesdokumentation aufgenommen worden. 

Traumatisiert von diesem psychisch einschneidenden Erlebnis saß ich nun eine Stunde am Krankenbett und lauschte dem lustigen Hüpfen der bunten Linien und Kurven auf dem Monitor. Der Tropf tropfte stumpf vor sich hin, das Blutdruckmessgerät blähte sich alle 15 Minuten provokant auf und ab und an überprüfte ein sachkundiger Blick des klinischen Personals die Vitalwerte des Patienten. In der Schwarzwaldklink werden dann immer noch hochdramatisch Diagnosen mit unaussprechlichen Wörtern ohne Konsonanten dafür aber mit zahlreichen Umlauten diskutiert. Auf Deck 4 sprach ein Lächeln ganze Enzyklopädien. 

Bei der Aushändigung der Rechnung faselte der indische Dr. House irgendwas von Gastro. Ich hab ihm erklärt, dass wir kein Restaurant besitzen. Ich glaub, er hat mich nicht verstanden. 

Wetter: 23 Grad, sonnig
Irgendwo auf dem Weg entlang der Küste Schwedens

Gestern Warnemünde, heute Kiel. Wenn das in diesem atemraubenden Tempo so weiter geht, sind wir übermorgen im Taka-Tuka-Land.

Kiel, die Stadt ist für uns so unerreichbar wie der Kurfürstendamm vor dem Mauerfall oder eine Goldmedaille im Synchronschwimmen. Es gibt keine Möglichkeit das Schiff zu verlassen und so richten wir unsere ausflugshungrigen und tränenerfüllten Blicke auf die entfernte Stadt am Horizont und erfreuten uns anschließend an hyperventilierenden Bewegungslegastenikern, die sich beim Cha-Cha Tanzkurz die Hüften auskugeln oder wenigstens das Knie verdrehen. Bring mal einem achtarmigen Octopus das Stricken bei. 

Ja, auch Bewegung möchte gelernt sein. Cha-Cha rechts und rechts und Cha-Cha links und links, die Hüfte kreeeeiiiiiisen und Arme hoch. Nach vorn, zurück, im Kreis und Cha-Cha rechts und Cha-Cha rechts. Die Arme hoch. Ohne die Hinweise des Vortänzers würden die auswüchsigen Bewegungsabläufe eher auf eine Verteidigungsstrategie gegen ein stechwütiges Bienenvolk hinweisen als auf einen lateinamerikanischen Tanz. Aber ja, all diese orientierungslos tanzenden Latinas haben immerhin mehr Bewegung als ich. 

Warte, ich geh jetzt laufen. Hä? Was? Wer hat das eben gesagt? Wie lange es wohl dauern wird bis meine Jogginghose begreift, dass sie wohl niemals joggen wird.

Genug gesehen. Mir ist langweilig. Ich werde mir jetzt mal Paniermehl aus der Bordküche organisieren und daraus ein Brötchen zusammenpuzzlen. 

Wetter: satte 23 Grad und in laues Lüftchen
Nächster Hafen: Seetag auf dem Weg nach Visby, Schweden

Ein warmes WELCOME vom Coronatestbeauftagten, der in seinem Vollkkontaktschutzanzug dem Bacillus anthracis und seiner nahen Verwanden dem Yersinia pestis und Vibrio cholerae müde lächelnd die Hand reichen und sich zu einem gemeinsamen Milz-Brandwein verabreden könnte. Statt eines lustigbunten Cocktails mit Schirmchen, Obst und Gemüse gibt es zur Begrüßung das steril verpackte Nasenstäbchen hoch geschoben bis zum primär somatosensorischem Kortex. 

Ich werde nach einer Gesichtsmaske gefragt. „Ja gern, mit Gurkenscheiben und Magerquark, bitte.“ Aber damit hätte ich eigentlich gern gewartet bis ich mit meinen weißen Bademantel im Wellnessbereich auf der Massageliege meinen Körper abgelegt habe. Naja…

In der uns ausgehändigten Kreuzfahrerzeitung für den heutigen Tag steht, es genügt eine Maske um in den Shops an Bord einkaufen gehen zu können. Ich wundere mich, denn alle anderen hatten auch noch Schuhe, Hose und Pullover an. 

Ein weiterer wichtiger Schutz gegen Corona: Nießen Sie in den Ellenbogen. Ich denke mal laut … das ist in den allermeisten Fällen der rechte und damit genau in den, der auch zur Begrüßung genutzt wird.

Habe gerade eine mail bekommen mit dem Betreff „Ding Dong“. Es sind die Zeugen Jehovas die aus dem Home-Office arbeiten.

Wir beschließen jetzt ein wenig Social Distancing auf dem Sonnendeck zu betreiben. Mal so von weitem gucken und nicht anfassen. Das ist so wie vor dem Dessertbuffet zu stehen und die Nase gegen die Glasscheibe zu pressen, die dich vom leckersten Törtchen der ganzen Welt trennt. 

Übrigens, ich war schon sozial distanziert bevor es erst cool wurde!

Meine Coronawarn-App meldet mit gerade, in der Nähe befinden sich: 4 Alkoholiker, 2 Transgender, 1 katholischer Priester, 5 Frauen mit Silikonbrüsten, 2 Veganer und 3 Laktose-Allergiker.

Ach Leute, wenn wir später einmal auf Corona zurückblicken werden wir uns weinend in den Armen liegen und sagen: Das waren verrückte 12 Jahre. 

So, ich werde jetzt auch mal Social Distancing zu meinem Gehirn aufbauen und gedankenlos auf der Sonnenliege chillen. Es ist Dienstwoch, der zwölfunddreißigste August. Ich liebe Urlaub. 

Wetter: frischer Nordwind, fast wie Frühwinter, ich bin der Überzeugung einige Eisschollen krachend vorbeischwimmen gesehen zu haben

Nächster Hafen: Kiel

Route: Wannsee, Havel Potsdam

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Wetter: hot, hot, hot, 34 Grad
Route: Spree mitten durch Berlin

Wetter: ordentlich warm, 33 Grad
Route: Langer See, Köpenick, Rummelsburger Bucht

Wetter: gut warm, 33 Grad
Route: Dämeritzsee, Seddinsee

Wetter: 35 Grad und mehr
Route: Werlsee