2018: Kreuzfahrt Nordkap und Spitzbergen

Zeitraum: 05. – 19. Juli 2018
Kreuzfahrtschiff: MSC Meraviglia

Reiseroute:
Hamburg, Deutschland
Alesund, Norwegen
Tromso, Norwegen
Longyearbyen / Spitzbergen, Norwegen
Honningsvag / Nordkap, Norwegen
Hellesylt / Geiranger, Norwegen
Stavanger, Norwegen

9:05 Uhr.
Die Musik spielt Improvisations-Jazz und meine aufstrebenden Ohrhärchen flehen um Gnade. Keinesfalls! Diese Liege gehört mir!

Es ist immer noch niemand weit und breit zu beobachten, über den man realitätsnah berichten könnte. 

Oh!!!!!
Würde ich mich in der gleichen Matrix wie dieses Pärchen bewegen, wäre die musikalische Untermalung der folgenden Szene zart romantisch bis leicht heroisch: Sie trägt einen Sonnenhut, den man von Safaris in Südafrika kennt, eine bunt geblümte 3/4 Hose von C&A und ein hellgrünes Strickjäckchen mit güldenen Knöpfen. Er ist Endsechziger und klassisch gekleidet. Blau in blau kartiertes Hemd mit kurzen Ärmeln, einer dunkelblauen Jeanshose vom Armani und helle Segeltuchschuhe. An der linken Hand eine schwere goldenen Uhr. Sie gehen zur Reling. Er breitet sanft ihre Arme nach Back- und Steuerbord aus. Sie ist noch schüchtern. Er flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich glaub: „Ich bin der König der Welt!“ oder so und nun stehen sie beide wie das berühmte Pärchen Fred Astaire & Ginger Rogers aus der berühmtesten Filmsequenz ever am Heck des Schiffs, haben seichte Klänge von Celine Dion im Ohr und lassen sich den Fahrtwind um ihr weißgelocktes Haar wehen. Hakuna Matata.

9:34 Uhr
Die Bevölkerungsdichte nimmt zu.
Ich überlege Eintritt zu erheben.

11:36 Uhr
Ein eruptionsartiges Niesen von der Nachbarliege reißt mich aus den Energiesparmodus. Ich erfahre ungewollt, dass -nennen wir sie Gudrun- keine Sonnencreme hat. Viel zu laut und viel zu oft wiederholte sie diesen für sie inakzeptablen Zustand, sodaß es mir fast ein Inneres Bedürfnis war, ihr auszuhelfen. 

12:05 Uhr
Ich hab Zeit. Wo gibts gerade nichts zu tun?

13.45 Uhr
Wer hat die Kekse vom Kinderbuffet hier her gestellt!

13:59 Uhr
Wo sind die Kekse vom Kinderbuffet?

16:09 Uhr
Aufgewacht.

16:10 Uhr
Wo hab ich bloß den Tag verloren?

Kennst du das, wenn du morgens aufstehst und topfit bist? Ich auch nicht.

8:14 Uhr. Die Sonne scheint! Was soll ich so früh machen? Photosynthese?

Nein! Eine Sonnenliege okkupieren! Als ordentlicher Deutscher hätte ich bereits um 6:30 Uhr die schönste aller Sonnenliegen mit 2 Handtüchern, Badelatschen und einer Deutschlandflagge als meinen Besitz gekennzeichnet. Aber als unausgeschlafener Urlauber (es ist vor 12:00!!!) reicht auch 8:14 Uhr. 

Ich war überrascht! Außer den Liegenaufstellern und zwei Joggern war niemand weit und breit zu sehen! Dachte ich doch, es gibt die senile Bettflucht und den Schlussverkauf auf Sonnenliegen am letzten Tag. Oder ist gar Taschenausverkauf bei Valentino und Guess? 

Ich bin überfordert. Ich habe die Auswahl aus ungezählt vielen Liegen und geflochtenen Betten, mit Sonne, ohne Sonne, neben der Dusche, neben dem Pool, an der Bar, neben der Bar, unterhalb der Bar, an der Reling, Backbord, Steuerbord, in Fahrtrichtung und dagegen. Ich könnte nun alle 30 Sekunden meine Liege wechseln um die eine zu finden, die mich heute den ganzen Tag in den Schlaf schaukeln wird. 

Da ist sie! Ich werde mir jetzt einige Tensatoren organisieren und sie als mein Hoheitsgebiet abstecken. Ich werde eine ganze Stadt auf ihr errichten. Nein, was sage ich, ich werde einen Kontinent erbauen, Zivilisationen ansiedeln und Ackerbau und Viehzucht betreiben. Ich werde Tomaten anpflanzen und Ruccola.

Ich werde jetzt erst einmal ein oder zwei Stündchen schlafen.

Route: von Stavanger nach Hamburg
Wetter: Sonne, etwas zu frischer Wind für Bikini und Badelatschen

Das Meer ist glatt wie ein Spiegel. Tieffliegende Möwen können entspannt noch einmal ihre zerzausten Federn zurecht zupfen, bevor sie mit flehendem Blick auf Deck 16 den Frühstückstisch bestaunen. 

Wale könnte man sogar mit müden Augen erkennen, wären welche da. Sind sie aber nicht. Achtung Wortwitz: Vielleicht sind die alle bei einer Wahlversammlung.

Wir sind auf dem Weg nach Stavanger. Maik on demand (eine der Öffentlichkeit nicht zugängliche Informationsquelle für Insiderwissen), lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen Übeltäter, der unverdrossen seine Geschäfte auf dem Stavanger Golfplatz verrichtet, den Lochscheißer von Stavanger! (bedauerlicherweise kommt die Betitelung nicht von mir.)

Bevorzugt in Loch 3, vermutlich weil er nicht weiter zählen kann, hinterläßt er seine Visitenkarte wenig optischer Schönheit. Seit mehr als 10 Jahren versucht man den Serienscheißer zu überführen. Täterprofile, Flutlichtanlage und Videoübertragung haben bisher nicht zum Ziel geführt. Selbst Nick Knatterton, Miss Marple und Tim und Struppi ist es bisher nicht gelungen, den Täter zu entlarven. Aber jetzt, heute, später, nachher, bald! Supergirl, die Bändigerin eines Huskyschlittens, die Finderin von fossilen Abdrücken in einem Haufen von Steinen, die weltbeste Fotografin und Blogschreiberin, die, die eine Möwe mit einer Taube verwechselt und seit Tagen denkt, wir sind in Finnland unterwegs. Ja, Supergirl wird in die norwegischen Geschichtsbücher eingehen und den Lochscheißer von Stavanger entlarven!

Es ist der Gärtner!

Jean-Jacques ist ein Kreuzfahrttourist wie jeder andere auch. Nun, vielleicht ist er etwas anders, sagen wir, ein wenig mehr anders. Jean-Jacques ist äußerst extrovertiert und möchte gern allen zeigen was er nicht kann. Tanzen zum Beispiel. Und so fieberte er auf den Talenteabend hin, bei dem er präsentieren durfte, was keiner sehen wollte: Einen selbst choreographierten Tanz mit einem roten Fächer! Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit uns auf der Showbühne: Jean-Jaaaaaaaaaaacques!

Beweglich wie ein Mikadostäbchen, blitzschnell wie der in den Regenwäldern Südamerikas beheimatete Bradypus Tridactylus (für Neugierige: die Maximalgeschwindigkeit dieses sich äußerst gemächlich fortbewegenden Dreifinger-Faultiers beträgt 2,4 m pro Minute) und so überraschend wie jedes Jahr das Weihnachtsfest vor der Tür steht, verkörperte er die einzigartige Schönheit des ausdrucksstarken Contemporaries gepaart mit männlichem Testosteron. Seine geschmeidigen Bewegungen, die die eines Schwerlasttransportes ähnelten und der Gesichtsausdruck eines kampferfahrenen Ninjas ließen das Publikum ehrfürchtig erstarren. Wie leichtfüßig er den roten Fächer durch die Luft wirbelte und dabei dem Publikum suggerierte kurz vor dem epileptischen Anfall zu stehen – großartig! Wir alle durften Zeitzeugen eines Jahrhundertauftritts werden. 

Mir erschienen die leichtfüßigen Bewegungen wie die Gebärdensprache eines überfahrenen Eichhörnchens, aber ich bin ja auch nicht Maßstab dieses sehr leicht zu unterhaltenden Publikums.  

„Hier spricht Kapitän Niveau: Wir sinken!“

Bedauerlicher Weise wurde Jean-Jacques exzellente Darbietung von einer Durchsage des Kapitäns unterbrochen. Ich vermute sehr stark, er sah die Liveübertragung auf seinem Navigationsmonitor und musste pflichtbewußt einschreiten. Aber was war interessanter als dieses künstlerisch ausgereifte Manifest des Ausdruckstanzes? Die Landung eines Helikopters auf dem Schiff. Jean-Jacques´ äußerst unterhaltsames Abendprogramm war in diesem Fall schon Geschichte, das hoffentlich im Logbuch der MSC Meraviglia seinen verdienten Eintrag findet: Jean-Jacques, der Superstar des nördlichen Polarkreises. Jean-Jacques, der Eisbär unter den Robben!

Route: von Hellesylt/Geiranger nach Stavanger
Wetter: man sagt 28 Grad, ich denke es waren um die 25,5°

Es geht weiter. Inzwischen bin ich auf meinem roten Kunstledersitz festgeklebt. Die Franzosen grölen laut lustige Lieder, ich singe leise für die Kroaten vor mich hin. Kroaten vor, noch ein Tor! Das habe ich von den Drittligisten-Spielen gelernt. 

Ich finde die Kroaten-T-Shirts immer noch schöner. Blau war noch nie meine Farbe. 

Was duftet denn hier so lecker. Popcorn! Wo ist der kleine blonde Junge mit dem rosafarbenen Baiserkeks. Der könnte mir jetzt mal schnell eine Familienpackung bringen. Wo ist denn diese kleine Radaubeule?

Was ist denn verdammt noch mal so schwer daran noch ein Tor für die Kroaten zu schießen. Kroaten vor, noch ein Tor! 

Pepsi. Pepsi wäre auch gut. Da läuft gerade eine Tüte Popcorn an mir vorbei. Ich dreh durch. ich bin deutlich unterzuckert und die Kroaten schießen kein Tor. 

Dafür aber die Franzosen. Mist!

Ok, jetzt bin ich raus. Meine Gegenwette ist damit erledigt. 

Das 4:1 ist nicht mehr zu akzeptieren.

Ich hole mir jetzt eine übergroße Tüte Popcorn und ne Pepsi. 

Ich sitze im Sportplex Deck 16. Hier auf dem Fußball- Volleyball-, Handball-, Tennis- und sonstiger Sportarten-Platz schaue ich das Finalspiel Frankreich-Kroatien. Die Franzosen sind hier eindeutig übermächtig und versuchen ihr Team zum Sieg zu grölen. Ich bin umringt von ihnen und werde in den nächsten 90 Minuten meinen persönlichen Französisch-Intensivkurs starten. Ich habe auf Kroatien gesetzt und bin damit der klare Aussenseiter. Oh es gibt noch 2-6 andere, die sich gerade über das Franzosentor fürchterlich ärgern. Es ist ja noch nichts verloren, die Kroaten können noch ihre 2 Tore schießen.

Da kommt ein kleiner Junge mit einem dieser lecker rosafarbenen Baiserkekse. Ich überlege kurz, ihm diesen aus der Hand zu schlagen, danach zu schnappen und auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren. Schließlich esse ich seit heute nichts mehr, was Spaß macht, da inzwischen auch mein Kleid nicht ausreichend Stretchanteil besitzt sich meinem Körper anzupassen. Statt Pancakes (Mehrzahl) mit Ahornsirup, Spiegelei und lecker frisch gebackenen Brötchen gab es heute ein winzig kleines Omelette mit Tomatenatome, im einstelligen Bereich abgezählten Obststückchen und warmen Frühstücksbrei. 

JAAAAAAAAAA! Ein Tor der Kroaten! Es sind offensichtlich doch mehr Fans da als ich vermutet hatte! Das Schiff bebt. Ich bebe mit. Ich entscheide mich, dem kleinen Jungen nicht den rosaroten Baiserkeks wegzunehmen. Ich bin zu euphorisch über dieses Tor. Tooooooooor!

Mist! Die Franzosen haben wieder einen Ball versenkt. Ich entscheide mich um und werde dem kleinen Jungen nicht nur den Keks aus der Hand reißen, sondern ihn auch gleich verprügeln. 

Die T-Shirts der Kroaten sind viel schöner.

Verdammt! Wo ist denn mein Baiserkeks hin?

Er ist der einzigartige, der wahre, der legendäre Christiooon. 

Mit viel zu schwarz gefärbtem Haar, getuschten Wimpern und deutlich zu viel Make-up verzaubert er nicht nur die Damenwelt der MSC Meraviglia. Wie ein Dompteur steht er in der Manege, umringt von ihm zufliegenden heiß glühenden Herzchen jeden Alters. Er ist da! Christiooon, der Hero der Baumwollepuschel und Seidenraupen! Der Held von Polyester und Synthetikfasern. Phonetisch läßt er sich feiern. Feiern wie ein Rückkehrer aus Armageddon, der Erfinder des Penicillins und der Entdecker der Backstreetboys. Er, der Kolumbus der Handtuchwickelmethode und Serviettenhutfalttechnik. Er, der aus gestärkten Bettlaken zartfliegende Ballkleider zaubern kann. Er, der aus Stofffetzen und Straußenfedern viktorianische Karnevalskostüme knote. Er, der mit Kaugummi und Zahnseide einen ganze Jogginghosenkollektion für Übergewichtige basteln kann und der bei einem Notfall der Erste im Rettungsboot wäre, aber der Bestangezogenste. Ich glaube, ich habe ihn heute morgen über das Wasser laufen sehen. Jetzt steht er vor mir, der Meister des Chiffon und Filz, von Jute und Samt, Damast und Flanell. Christiooon!

Ich bin fasziniert von seiner flinken Händen und seiner Knot-, Binde- Falt- und Stecktechnik. Am Handgelenk ein Nadelkissen, an dem er sich immer wieder verheddert. Vermutlich trägt er dort sonst sein goldenes Armbändchen. 

Mit geübten Griffen und unwiderstehlichem Lächeln knotet er ein muskulöses Modell ein und aus. Es fliegen Federn, Ohrringe, Halsketten. Ellenlange Handschuhe und Hüte wurden an- und ausgezogen. Und der Meister war sichtlich stolz auf all seine Kreationen. Geadelt wurde Christiooons Instant Fashion Show mit einem Brautkleid, dass er aus einer handgeklöppelten Tischdecke mit Lochstickerei und einem Blumenstrauß aus Stoffservietten breitarmig und mit stolzgeschwelter Brust unter den gewaltigen Klängen epischer Musik präsentierte. Christiooon, knote mir einen Bikini!!!

Route: vom Nordkap nach Hellesylt/Geiranger
Wetter: keine Ahnung, war nicht draussen

Am Nordkap ist übrigens alles immer das nördlichste von der ganzen Welt. Es gibt hier das nördlichste Fischerdorf, das nördlichste Fahrrad, die nördlichste Tankstelle, den nördlichsten Weihnachtsdekorationsladen, den nördlichsten Kindergarten, den nördlichsten Campingplatz, die nördlichste Angelroute und immer so weiter. 

Ach ja, übrigens für die Klugscheißer und Besserwisser unter Euch: Das Nordkap mit Globus und Souvenirladen befindet sich nicht auf dem Festland, sondern auf der vorgelagerten Insel Magerøya und ist damit nicht der nördlichste Punkt des Europäischen Festlandes. Damit geht der Sieg an die Landzunge Kinnarodden mit 71° 08′ 01″ nördlicher Breite auf der Nordkinnhalbinsel gleich nebenan.

Wenn ich mal allein sein will, stelle ich mich im Baumarkt an den Infostand. 

Der Globus am Nordkap ist definitiv der falsche Ort für Meditation und Einsamkeit. Die Skulptur ohne Menschen fotografieren zu können ist genauso wahrscheinlich wie das diesjährige WM-Finale mit der Deutschen Nationalelf. Alle kommen sie hierher. Ob mit dem Fahrrad, zu Fuß, im Auto oder in Reisebussen, die in ihrer Anzahl stark mit den Wohnwagen konkurrieren. Das Nordkap ist eben die Pilgerstätte des Nordlandreisenden. Hier geht es zu wie in der Elektronikabteilung am Black Friday oder bei einer Autogrammstunde der Wildecker Herzbuben. Blinde können wieder sehen, Alte wieder gehen. Hier am Nordkap geschehen Wunder.

Genauso hoch frequentiert wird der Souvenirladen. Denn wer will nicht vom nördlichsten Punkt Europas, um exakt zu sein: 71° 10′ 21″ nördlicher Breite, 514 km nördlich des Polarkreises und 2100 km südlich des Nordpols eine Tasse oder ein Stück gut riechende Seife für den Preis von 2 Mallorcaflügen im Schrank sein Eigen nennen? Hier wird alles verkauft, was im Kofferraum, in Tüten und Handtaschen Platz findet. Sogar Zertifikate für das Erreichen des Nordkaps werden hier vertickt. Was genau war jetzt die Leistung? In den Bus zu steigen, 50 m zum Plateau zu spazieren und durch Fotos fremder Menschen zu laufen? Ich distanziere mich von diesen Urkunden und Nachweisen und hab noch exakt 7 min Zeit um nach Seife und Tassen zu schauen.

Fast ignoriert wird das Mitternachtssonnendenkmal auf dem Plateau. Ich gebe zu, ich habe auch erst von Google von seiner Existenz erfahren, aber die kleine Stiefschwester vom großen Globus bot immerhin ein menschenfreies Panoramabild. Und so konnte ich mit dem Gänseblümchen am Wegesrand glücklich meinen Tag beenden. 

Ach ja, seit 6 Tagen oder so geht die Sonne nicht mehr unter. Das heißt, hier ist es rund um die Uhr taghell und ich habe mein Zeitgefühl längst verloren. Mein Magen erinnert mich in regelmäßigen Abständen daran, das Kinderbuffet aufzusuchen. Verrückt, was die Natur so alles drauf hat.

Ort: Honningsvag, Nordkap
Wetter: Sonne mit Wolken, 8 Grad, das Nordkap voll vernebelt

Das einzig Gute an dieser Vorstellung waren die drei Gemüsechips und das hausgemachte Schokoladenmacaron, das auf einem kleinen Tellerchen am blauen Samtsesselchen auf mich wartete. Der Welcome-Cocktail mit der roten Macarena-Kirsche und der weiß-wässrigen Flüssigkeit mit Rosmarinstengel sollte vermutlich ein experimenteller Gruß von der Bar sein, entpuppte sich jedoch als geschmacksneutral und wenig trinkenswert. 

Im Vor-Cirque-du-Soleil-Programm sang eine Brasilianische Sängerin brasilianische Volksweisen und ließ sich von 2 brasilianischen Musikern mit brasilianischen Rhythmen begleiten. Sie trug die Frisur einer Reinigungsbürste, wie man sie im Spülbecken der heimischen Küche kennt. Ihre Kleidung hat sie sich sicher von Modekreateur Christiooon von „Chrsitiooons Mode Instant Fashion Show“ geliehen. Der kann nämlich aus 2 Tischdecken und einer Stoffserviette ein Cocktailkleid mit Hut zaubern. Irgendwann war ihr Repertoire an brasilianischen Liedern mit brasilianischen Klängen zu Ende und meine Härchen in meinen Öhrchen begannen sich wieder normal zu verhalten.

Die Show war ganz ok. Das Thema habe ich leider nicht verstanden. Ich vermute, es ging um einen kreativ stark eingeschränkten Maler, der mit Hilfe von LSD oder Chrytal Meth und einem bunten Sortiment an Medikamenten, die es definitiv nur unter dem Apothekertisch gab, bunte Kreise und Quadrate sah und sich auf die Suche nach seiner Muse machte. Auf dem Weg dorthin begegnete er unlustige Clowns und komischen Charakteren, die sich mir auch nach dem Trinken des geschmacklosen weißen Cocktails nicht erschlossen haben. Am Ende war irgendwie alles gut oder ich hab auch das nicht begriffen. Vielleicht reicht mein Horizont auch nur vom blauen Samtsessel bis zum Kinderbuffet. 

Heute ist Tag der Eisbären. Ich werf mir nen weißen Pelz über, futter mir ordentlich was an und erschrecke hier und da den ein oder anderen Kreuzfahrttouristen. Mein Gemütszustand ist dem eines Eisbären nicht unfern. Er lässt sich äußerst schlecht vorhersagen, genau so wie der eines Topmodels. Hungrig? Neugierig? Aggressiv? Heute ist von allem etwas dabei.

Am Buffet ist er eher als aggressiv einzuordnen. Denn all die Menschen, die nur Singen und Klatschen in der Schule hatten, trödeln gemächlich auf der Überholspur vor sich hin und blockieren die eiligen Rechtsabbieger, die noch schnell vor Buffetschluss und der einbrechenden großen Hungersnot das ein oder andere frisch gebackene Pizzastückchen auf den Teller legen möchten. Ja, die Pizza hat mit der Arzt verschrieben. Dr. Oetker.

Hungrig war ich den ganzen Vormittag nicht. Denn erst um 14 Uhr hat sich mein Körper entschieden, wach zu werden. Wowowowowowou, falsch, zurück…. Denn erst um 14 Uhr habe ich meine Augen mit einem vorsichtigen Aufschlag öffnen können. Gesicht und Körper fühlen sich an, als wären sie als Sieger von einem Boxkampf der Schwergewichtsklasse aus dem Ring gestiegen. Ich überlege kurz was mir nicht weh tut. Oh, da links, die eine Haarspitze scheint nichts abbekommen zu haben. Ich fühle mich tatsächlich wie Nachbars Lumpi, den ein Schwerlasttransport an der Kreuzung mehrfach überfahren, wieder zusammengenäht und weitere 3 Male überfahren hat. 

Ach ja, und ich habe Kopfweh. Ich glaube, mein Heiligenschein drückt.

Route: Von Spitzbergen zum Nordkap
Wetter: grau in allen Schattierungen, Seegang ok

Steine haben schon etwas sehr beruhigendes. Sie sind so still und leise. Sie sind einfach nur da. Und es waren so viele da! Bergeweise! Große und kleine, dicke und runde. Wohl geformte und hübsche bunte war auch dabei. Steine, so weit das Auge reichte. 

Wer riecht hier eigentlich so stark nach Husky?

Die Aufgabe des Tages war es, in Steinen eingeschlossene Fossilien zu suchen. Witzig. Ich kann schon meine zweite Socke im Kleiderschrank nicht finden, wie bitte soll ich da einen Blattabdruck auf einem Stein von Milliarden rumliegender Steine finden? Aber hey, ich vergaß, ich bin Supergirl! Und schwupps, ohne Hämmerchen schon das erst Stengelchen in einem grauen Steinchen gefunden. Der Jubel war groß! 

Und es riecht immer noch nach Husky.

Der Aufstieg auf den steilen Berg war eine Herausforderung. Der Abstieg zwischen Geröll und Steinen eine Mutprobe. Aber hey, ich bin Supergirl und rieche nach Husky. Da ist es eine Frage der Zeit, ein Steinchen mit einem Blätterabdruck zu finden. Und schwupps, da hatte ich ihn gefunden. Den einen Stein mit einem Jahrmillionen alten Blätterabdruck. Was mach ich nun damit? Ihn ins Museum tragen oder als Briefbeschwerer nutzen? Ich weiß, ich werde ihn einfach das nächste Mal beim Tischtennisturnier dem hochgewachsenen Aaron an den Kopf werfen.

Er heißt Birken. Groß, gutaussehend, stark, attraktiv, muskulös. Eine Augenweide für jedes Mädchen. Er kann sie alle haben. Ein ganzer Kerl. Seinem wachsamen Blick entging nichts. Für meinen Geschmack ist er zu sehr behaart und sein Halskettchen schien mir etwas zu überdimensioniert. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Birken hatte ein eigenes Häuschen mit kleinem gepflegten Vorgärtchen und einem Namensschild an der Haustür.

Birken. Er ist es! Es hat auf Anhieb zwischen uns gefunkt. Hätte er starke Arme, würde er mich durch ganz Spitzbergen tragen und noch viel weiter. Ich war tief gerührt und hatte ein kleines Tränchen im Augenwinkel als er mir seine Pfoten auf die Schultern legte und ins Gesicht sabberte. Birken.

Ja, fein! Gut gemacht! Na wo ist denn der Birken! Ja fein!
Hecktisch und hochgradig erregt springt er in seinem Vorgarten rum und kann es nicht erwarten, in sein Geschirr zu steigen und vor den Schlitten gespannt zu werden. Ein ohrenbetäubender Tumult brach aus, als alle Hunde zusammengesammelt und für den Ausflug vorbereitet wurden.

Neben Birken zogen Missy, Obelix, Lumi, Odin und Luna unseren Sommerschlitten. Gelenkt und gefahren von mir. Dem Supergirl! Ja, es ist nicht immer leicht ein Supergirl zu sein. Aber ich komme zurecht. Und nein, ich hatte keine Ahnung, was ich da tue, aaaaaber ich überrasche mich gern auch mal selbst.
Na dann … READY HIKE!!!!!

Bedauerlicherweise war der Huskyschlitten vor mir im Spaziergang unterwegs, sodaß ich die Handbremse unter Dauerbelastung halten musste. Nun ja, manche fahren eben so langsam, die werden nicht geblitzt, die werden gemalt.

Ort: Longyearbyen auf Spitzbergen
Wetter: 5 Grad, Sonnenschein

Würde ich die Übelkeit im Kopf und Magen genießen, wäre ich Achterbahntester in Freizeitparks geworden. Da bereits das Zuschauen der drehenden Bewegungen der Kinderkarussells auf Weihnachtsmärkten und Stadtfesten bei mir erste Übelkeitserscheinungen auslöst, war diese Nacht kein Spaziergang. Wellen, mindestens 3 m hoch und Windstärke 8 aus allen Richtungen ließen mich überlegen, die farbenfrohe Schwimmweste mit Trillerpfeife und modischen Leuchtstreifen an den Seiten aus dem Verschlag von Deck 6 zu holen und mich wartend mit dem nötigsten im Gepäck vor eines der Rettungsbote zu stellen. Ich hatte gelernt „ Der frühe Vogel ist nie zu spät.“ Doch ich bin bei diesem Seegang nicht einmal unbeschadet bis zur Kabinentür gekommen und so entschied ich, mich meinem Schicksal mit einer satten Überdosis an Reisetabletten und -kaugummi zu ergeben und inständig zu hoffen, bei Erwachen nicht in das hungrige Maul einer übellaunigen Tiefseekrake zu schauen.

Mit unterdurchschnittlich niedrigen Erwartungen gingen wir zum hochgepriesenen Musicalabend – und … wir wurden nicht enttäuscht. Versprochen wurde „Best of Musical“ und mir war verdammt klar, was das zu bedeuten hatte. Memmmmmmmmmrieeeeeeeeeees und ein fürchterliches Katzengejammer bei Mondschein sowie weitere Highlights der internationalen Musicalhochkultur.
Das Publikum warf sich in die schillerndste und nicht immer vorteilhafteste Abendgarderobe und applaudierte mir einen Tinnitus ins Ohr. Ich konnte nicht deutlich zuordnen, ob mir vom Zuhören oder vom immer stärker werdenden Seegang übel wurde.
Ich hätte wetten können, das eine Stück war „Die Schöne und das Biest“. Die Melodie kannte ich von einer Glückwunschkarte. Fast wollte ich leise mit summen und Interesse heucheln. Doch der singende Kerzenständer kam die ganze Zeit nicht auf die Bühne und das irritierte mich ein wenig. Am Ende war es dann der „Glöckner von Notre Dame“. Ich war so verdammt nah dran!

Memo an mich: Ich bin viel zu jung für diese musikalischen Darbietungen der italienischen Weltklassetenöre und Hochleistungssophranistinnen.

Trotz Einrechnung der erheblichen Schiffsschwankungen sowie der äußeren Wetterbedingungen und unter Berücksichtigung der aktuellen Erdrotation und Sonnenstand, war es mir bedauerlicher Weise nicht gelungen, den exakten Kurs der leberwurstgrauen Bowlingkugel zu berechnen, um stolz mit einem güldenen Lorbeerkranz den Platz zu verlassen. Aber es gibt ja ein Trostpflaster. Ich wusste, das Kinderbuffet ist nur eine Bowlingbahnlänge von mir entfernt und damit auch diese kleinen leckeren rosafarbenen Baiserkekse in Reichweite.