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All posts for the month Dezember, 2016

Es riecht nach billigem Parfüm und schlechtem Aftershave. Diese hohe Konzentration an Pestiziden und klinisch nicht getesteten Schwebeteilchen würde in Flugzeugen Sauerstoffmasken aus den Fächern fallen lassen und Passagiere in Quarantäne stecken. Bei offenem Feuer sind wir ein Silvesterknaller, den sicher auch die Sojus nicht unbeeindruckt ließe.

Gäste und Crew haben sich in die auffälligsten Fummel geworfen. Es glitzert und funkelt an jeder Körperstelle. Lustigbunte Partyhütchen verbessern die oft sehr waghalsig gewählten Kleider nicht zwangsläufig. Kleine Prinzessinnen hüpfen durch die Gänge, Mutti kommt mit den Plateauhighheels nicht hinterher, Papa interessiert sich für noch waghalsigere Kleider.

Während sich auf Deck 8 die ältere Generation zu „River of Babylon“ im Rhythmus wiegt, herrscht auf Deck 9 ungebändigte Partystimmung. Hier befindet sich das Epizentrum der Schiffsbewegung. Es werden Konfettikanonen gezündet und ungebremst mit Papierschlangen um sich geworfen. Alle Rauchmelder sind im Alarmzustand und feiern hektisch blinkend mit. Man kann fast nichts mehr sehen. Ich überlege mir meine Schwimmweste für den Ernstfall schon einmal umzulegen und mich am Sammelpunkt einzufinden. Aber selbst die Schiffssirene würde gegen den trommelfellzerstörenden Italo-Pop wie das weinerliche Klagen einer gestrandeten Rotbarbe klingen.

Die Crew und ihre Familien feiern mit. Der kleine dicke Junge führt stolz den Kapitän an der Hand seinen Freunden vor. Der Kapitän ist auch klein und dick. Die Familiengene sind sehr stark ausgeprägt. Vermutlich kann der 5jährige auch schon fehlerfrei durchs Meer navigieren und das Schiff in einem Zug im Hafen von Antsiranana einparken.

Das vor sich hinleidende Gitarren-Duo in der Tango-Bar spielt nur für sich allein. Und dem Barkeeper. Da machen die Chipmunks-wo sind die eigentlich?- definitiv mehr Party mit ner Gitarre unterm Arm. Die Chance auf bessere Stimmung ist auch nach dem dritten Lied nicht gestiegen. Ich verlasse den ruhigsten Ort des Schiffes und mische mich nur eine Tür weiter in die Italo-Pop-Szene, wo der Champagner fließt und die russischen Damen in weißen, auf den Körper geschweißten Spitzenkleider zeigen, was sie an der Stange gelernt haben. Hier wird gefeiert bis zum Untergang und das Bordkonto raucht.

Die drei Sekunden bis Mitternacht sind schnell gezählt. Guten Morgen 2017 irgendwo vor der Küste Madagaskars.

Ort: Irgendwo im indischen Ozean auf dem Weg nach Antsiranana, Madagaskar
Wetter: großartige 29 Grad und wolkenlos

Zum Frühstück gab es für meine Haut das vom Tropeninstitut empfohlene Nobite. Eingeschmiert auf dem gesamten Körper soll es sämtliches Kleingetier die Lust auf eine üppige Mahlzeit vermiesen. Ich verlasse mich auf die klinisch getestete Aussage und dusche in der halben Flasche des toxisch unbedenklichen Sprühnebels. Fazit: Es macht Terror in Hals und Nase, weicht den guten Essie-Nagellack auf und bringt nicht nur Tiere zum Weinen. Metall entrostet es ganz sicher in sekundenschnelle und Gummi löst sich vermutlich in eine klebrige Masse auf. Egal, ich leide lieber an den Spätfolgen als auf dem Speiseplan der Stechmücken und Sandflöhe zu stehen.

Vom Schiff ging es direkt in ein winziges Boot. 8 Leute hatten Platz und der Kapitän. Schwimmwesten waren Pflicht. Dann ging es raus aufs Meer, 40 Minuten bis zur Insel Komba. Ein Juwel im Indischen Ozean, so beschrieben im Ausflugsprogramm. Zu sehen gab es viele Costa-Gäste, eigentlich alle vom Schiff incl. der gesamten Crew, und einen Leuchtturm. Und Lemuren, lustige kleine Äffchen mit weißem strubbligen Haar, die unbeeindruckt in den Bäumen saßen. Und weißer Sand mit sagenhaft blauem Meer. Kein Luftzug und Sonne ohne Wolken. Der Sand war brüllend heiß und ich hoffe, das sich auch Sandflöhe ihre kleinen Füßchen darin verbrennen.

Tanikely war größer. Hier gibt es ein Dorf. Und viele Menschen die darauf warteten, Geld geschenkt zu bekommen. Es gab Selbstgebasteltes zu kaufen. Von Tischdenken über Hüte, Taschen, T-Shirts, gemalte Bilder bis zu Kühlschrankmagnete war alles dabei. Der Strand war vermüllt. Wäsche gewaschen und geduscht wurde an einem Brunnen vor einem Restaurant. Es gab kleine Feuerstellen vor den schlecht zusammengezimmerten Wellblechhütten. In den Töpfen schwamm Fett mit nicht klar definierbarem Kochgut. Die Menschen waren sehr freundlich, Mädchen haben ihre Gesichter mit weißen Mustern bemalt. Fische werden auf Felsen in der Sonne getrocknet, neben gewaschener Kleidung. Kleine Kinder spielten am Strand und im Wasser zwischen Blechdosen und Glasscherben. Auf kleinen Holztischen wird Obst und Gemüse angeboten und frische Vanille. Es gab einen Hauptweg und viele verwinkelte Pfade zu kleinen, erbärmlich aussehenden Hütten. Das ganze Leben spielt sich hier auf den Wegen ab.

Von einem Inselbewohner geführt ging es dann in einen kleinen Naturpark. Hier gab es Feuchtnasenprimaten, Chamäleons, Schildkröten, Geckos und sonstige Kriechtiere. Alles was hier lebt wird mit Bananen vom Baum gelockt. Solange, bis jeder Affe einmal auf der Schulter eines jeden Touristen gesessen hat. Beobachtet hab ich das ganze Ausmaß der Tiershow aus sicherer Entfernung unter einem Baum. Sicher ist relativ, habe ich gelernt. Aus voller Dankbarkeit hat mich ein schwarzer Lemure von oben angepinkelt. Ich konnte reaktionsschnell zur Seite hüpfen und so traf es nur die Tasche. Wenn das Dankbarkeit ist gehe ich jetzt sofort seine Familie quälen.

Im schönsten Restaurant des Dorfes mit unfassbar atemberaubendem Ausblick wurde Mittagessen serviert. Aromatischer Reis, Fisch, Gemüse, Kartoffeln und Fleisch am Spießchen. Gegessen wurde auf umweltfreundlichen Plastiktellern und mit Plastikbesteck. Meine zarte Gabel hielt dem Aufspießen der Kartoffel bedauerlicher Weise nicht Stand und so habe ich einmal mehr Plastikmüll hinterlassen.

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Einheimische Männer und Kinder in ihren selbstgeschnitzten kleinen Holzbooten lassen sich um das Schiff herum treiben. Seit morgens versuchen sie alles zu verkaufen, was sie haben. Schauen Dich mit ihren großen Augen an und hoffen, dass du ihnen etwas schenkst. Das zu sehen ist schwer zu ertragen. Ich gehe heute schlafen mit den Gefühl dankbar zu sein. Dankbar für das was ich habe, wovon ich träume und für meine Sorgen und Probleme, die vergleichbar geringfügig zu sein scheinen.

Orte: Nosy-Be, Komba, Tanikely auf Madagaskar
Wetter: heute 30 Grad und windstill

Schattige Plätzchen stehen hier hoch im Kurs wie Trockenpflaumen bei Verdauungsstörungen.

Hat man sich gegen 6 Uhr morgens schon mal eine Liege unter einem der homöopathisch vorhandenen Sonnenschirmchen ergattert, ist man ganz weit vorn. Spätestens um 7 Uhr ist dieses gegen eine mit lupenreinen Diamanten besetzte Rolex oder ein Villa mit Meerblick auf Mauritius eingetauscht. Vielleicht gibt es inzwischen auch schon bargeldlose Zahlungen von Bordkonto zu Bordkonto. Man weiss es nicht.

Wer sein Plätzchen nicht meistbringend veräußert, thront man dort bis die Sterne im Nachthimmel funkeln. Zum verrecken gibt keiner diese Liege auf, auch wenn er den ganzen Tag damit verbringt, sich durch das Buffet zu grasen, in Conrados einstündiger Bastelstunde lernt, wie man mit einfachen Hausmitteln Silvesterknaller herstellt, anschließen dem Gottesdienst bei Don Petro beiwohnt, mit der Latin Dance Group alle lateinamerikanischen Tänze lernt, beim Zumbakurs von Edmundo Nahtoderfahrungen macht und vor dem Abendessen noch mal ne Runde Mega-Bingo spielt. Diese Liege im Schatten gehört mir! Ganz allein mir!

Heute ist ein Seetag. Das bunte Bordprogramm fährt alles auf, was den betagten Kreuzfahrer vom Hocker reißt. Es gibt Gesundheitsworkshops mit spannenden Themen wie „Braucht meine Wanderniere ist Visum für Madagaskar?“ oder „Kann man sich aus Nierensteinen ein Alterswohnsitz bauen“. Beauty wird auch ganz groß geschrieben. Unter fachmännischer Anleitung von langjährig ausgebildeten Experten wird hier dem Beautyunerfahrenen hautnah erläutert, wie man sein Gesicht korrekt eincremt. Linkskreisend, rechtskreisend, einfach tupfen und wenn ja mit welchem Finger. Nein, nein, durch das schwierige Thema muss sich niemand allein durchquälen, es gibt Hilfestellung für eine korrekte Händeführung und ein Diplom bei Durchhalten bis zum Workshopende. Der fortgeschrittene Kreuzfahrer, der das ganze Programm schon mehrfach durchlaufen hat, geht shoppen. Es gibt Markenuhren aus dem Hause Ismnüff oder einen Platinring besetzt mit echten Diamanten für 34,99 €. Heute war Super-Flash-Sale. Nur von 10 – 11 Uhr. Das Sonnendeck war leer gefegt. Das Schiff bekam Schlagseite. Am Buffet blieben nur noch die Hartgesottenen hängen. Lahme konnten wieder laufen und Blinde sehen. Ja, selbst der Alzheimerpatient entdeckt minütlich immer wieder neue schöne Sachen.

Moment, was heißt hier schwierige Wetterverhältnisse und man solle sich doch am Geländer festhalten. Ich habe gerade zu Mittag gegessen und wollte mich nun ein wenig auf dem Deck tummeln und mich vom Freddy Mercury unter den Animateuren unterhalten lassen. – Oh, die Liegen werden gerade eingesammelt. Ein sicheres Signal dafür, dass einem zeitnah alles um die Ohren fliegen wird. Ich versuch es erst einmal mit gesunder Ignoranz und später vermutlich mit einer überdosierten Mischung aus Reisetabletten, Notfalltropfen, Ingwerdragees, Reisekaugummis und einer großen Portion Hoffnung.

Zwischenzeitlich nutze ich die derzeitig hervorragende Wetterlage und schau mich mal am Pool so um. Hier findet sich eine ausgesprochen gute Mischung aus Bulimie-Teenagern, operativ nachgeholfenen Beautyqueens, nicht altern wollenden Diven, antiautoritär erzogenen kleinen Biestern, dicken Männern mit ungepflegten Füßen, den italienischen Gigolo, immer zum Flirten auf dem Sprung, ein paar ständig meckernde Deutsche (es ist zu warm, es ist zu kalt, warum spricht hier keiner deutsch), ein Jogger in viel zu engen Shorts und gelben Turnschuhen, der beim Drehen seiner 150 m-Runden jedesmal meine Liege zum Beben bringt – ICH HASSE IHN! -, der Kegelclub aus Castrop-Rauxel, der unüberhörbar Karten spielt, eine billige Rihanna-Kopie und ein noch schlechteres Ricky Martin-Double. Putin ist übrigens auch an Board. Ich hätte ihm gestern -nach seiner Vollbremsung mitten im Weg- fast meine gesamte Beute vom Kuchenbuffet in den Nacken gekippt. – Die Barkeeper tragen immer noch diese roten Weihnachtsmützen mit weißen Bommeln. Vermutlich haben sie sich schon in die Kopfhaut eingebrannt. Ich frage mich, ob ich das Servicepersonal jemals erkennen werde, wenn sie diese Mützen nicht mehr tragen müssen.

Aber zurück zum Pool. Es sollte Männern verboten sein, Badehöschen zu tragen, die kaum mehr Stoff haben als das Einstecktuch in ihrem Weihnachtsjacket. Man mag gar nicht hingucken, doch der Blick bleibt kleben an jeden einzelnen Quadratmillimeter des neongelb leuchtenden Desasters. Gibt es denn hier niemanden, der den Kerl über Board schupsen möchte? Und wie ist es möglich, dass man die körperlichen Vorzüge von Bud Spencer oder Israel Kaʻanoʻi Kamakawiwoʻole so selbstbewußt ins Sonnenlicht hält?

Eine Dame, die die kühle Grasnarbe sicher auch schon riechen kann, hält da ganz gut mit. Ihr Bikini aus der Kinderabteilung mit 3 Reihen Rüschen am Po und einem zarten Oberteil, dass nicht mal Barbie passen würde, ist ein klarer Beweis für Altersweitsichtigkeit und Nahbrille nicht aufsetzen wollen. Freunde scheint sie nicht zu haben, sonst hätten sie sie sicher ganz schnell in ein Costa-Badetuch eingewickelt.

Ja, die Welt ist so schön bunt und gäbe es diese exzentrischen Selbstdarsteller nicht, hätte ich jetzt vermutlich eine mehrbändige Abhandlung über die ökonomische Entwicklung der Seychellen nach der Jahrhundertwende geschrieben.

Ort: irgendwo zwischen den Seychellen und Madagaskar
Wetter: sanfte 29 Grad

Das ist wohl im Allgemeinen eine Frage, die sich die gesamte Menschheit stellt. Heute stand ich vor der Herausforderung zwei meiner offensichtlich verschiedenen Leben zu offenbaren.

Zugegeben, ich höre Stimmen. Sie erzählen mir lustige Geschichten vom ganz normalen Wahnsinn, ich lausche ihnen ein wenig und dann lachen wir zusammen. Bis heute wußte ich allerdings nicht, dass sie offensichtlich auch zu Personen gehören. – Übrigens 9 von 10 Stimmen sagen ich sei irre. Eine summt. Ich glaube aber, das ist mein Tinnitus. Oder ein Chipmunk.

Die russische Fotografin:
Der Skipper, der mich von Mahé nach Moyenne Island shipperte, war der festen Überzeugung ich sei eine russische Fotografin. Er schwor auf die heilige Miesmuschel, dass wir uns sogar kennen würden. Nun, ich kenne weder die heilige Miesmuschel noch den Skipper, was ich aber während der 40minütigen etwas holprigen Überfahrt tatsächlich tat war, die Zahlen von 1 bis 100 in meinem Kopf auf Russisch hoch- und runter zu zählen. Dabei hatte ich weniger die Absicht, meine längst ausgelagerten Sprachkenntnisse zu defragmentieren, sondern mich vielmehr mit etwas sehr Abstrakten von der rasanten Berg- und Talfahrt abzulenken. Ich hätte auch über die Relativitätstheorie nachdenken können oder über die Entstehung von schwarzen Löchern und deren kausalen Zusammenhang mit der Kariesquote bei Vorschulkindern sinnen können, und vermutlich hätte ich auch das Zählen in Kisuaheli oder auf Norwegisch hinbekommen, aber die russische Sprache schien mir in diesem Augenblick doch am vertrautesten. – Schon komisch.

Die Undercover Agentin:
Die F&B-Managerin des Schiffs stand mit mir im Fahrstuhl zum Deck 10. Ich war auf dem Weg zum Abendessen, sie nicht. -In Fahrstühlen herrscht immer eine merkwürdige Situation. Alle starren auf den Boden und schweigen. Aber egal.- Sie sprach mich an und sagte, sie wäre etwas verwirrt (diesen Zustand kenne ich durchaus), denn ich würde aussehen wie eine wichtige Person aus dem Costa-Management. Es ging unter der Crew die Frage rum, ist sie es, oder ist sie es nicht. Aha, das würde die hektischen Blicke erklären, die mir beim Boarding in Port Louis etwas bedenklich vorkamen. -Sehr lustig.

Das heißt, offensichtlich gibt es da draußen noch mehr von mir. Und ich bin der Meinung, wir sollten uns dringend einmal kennenlernen und für ne Woche die Identitäten tauschen.

„Take some nice pictures“, mit diesen Worten hat mich der Junge auf einer Sandbank mitten im indischen Ozean zwischen zwei Inseln vor Mahé ausgesetzt. Ich hatte Reisekaugummis dabei und Ingwerbonbons, die mir sicher über die ersten Tage geholfen hätten, sollte das lustige Kerlchen nicht zurück kommen. Dafür käme aber -mit an sehr hoher Wahrscheinlichkeit grenzend- die Flut und ich hab keine Ahnung, wie weit ich meine Kamera hätte in die Höhe halten müssen.

Aber von vorne:
Mein Tagesziel war heute Moyenne Island. Eine winzig kleine unbewohnte Insel mit Riesenschildkröten, Flughunden, Piratengräber, riesigen Granitfelsen und weißen Sandbuchten. Die Insel, die ein Engländer in den 70er Jahren geschaffen hatte , ist nun der kleinste Nationalpark der Welt.

Ein Glasbodenboot, das offensichtlich ein eigenes Programm verfolgte als es mir gestern vom mehrsprachigen Guy verkauft wurde, hielt nach 30 min Fahrzeit im Ste. Anne Marine National Park. Park – mit Bäumen und Sträuchern und Sand unter den Füßen, hahaaaaa … Neeheeee, die meinen das Meeresschutzgebiet, wo besonders viele Fische rumschwimmen. Und die hier sind so zahm, dass sie aus der Hand fressen und aus Dankbarkeit von ganz allein auf das Grillrost hüpfen. Also nix mit Hurra, endlich Festland. Hier wird jetzt erst mal schön 1 Std. im glasklaren Wasser geschnorchelt, während sich das Boot sanft mit den wechselnden Winden drehte und dabei von den seichten Wellen getragen wurde. Visuell betrachtet ein wirklich tolles Bild, magentechnisch gesehen eine Horrorvorstellung.

Dan, der Kapitän schien sich fürchterlich zu langweilen und so war es nicht schwer ihn zu überreden, mich mit dem motorisierten Beiboot mal schnell nach Moyenne Island zu bringen. In knappen 4 Minuten und mit Highspeed unterwegs flogen wir über den indischen Ozean. Das war schon sehr, sehr großes Kino.

Ja, da war ich nun als erste von der Reisgruppe Tengelmann auf einer wahren Robinson Crusoe Insel. 300 x 400 m klein. Und hier gab es sie, die Riesenschildkröten, die mir beim Inselrundgang vor die Füße liefen. Mit einem freundlichen Fauchen forderten sie Aufmerksamkeit oder grünes Blattzeug. Hast du ihnen beides gegeben, waren sie artig. Die Schildkröte mit der auf dem Rücken gepinselten Nr. 13 lief mir lange hinterher. Und sie war wirklich schnell unterwegs. Also, für Schildkröten schnell. Sie wollte gekrault werden und streckte ihren Hals dabei immer weiter aus ihrem gepanzerten Zuhause. Ich glaube, die Nr. 13 bestand ausschließlich aus Hals.

Ich nutzte den kurzen Augenblick als Nr. 13 tiefenentspannt ihre Augen schloss, lief so schnell ich konnte und versteckte mich hinter einem Felsen. Ja, Wellness ist auch für Schildkröten irgendwann einmal zu Ende. Ich hörte noch kurz ein Fauchen und dann verschwand sie im Dickicht der Bäume.

Die Insel war schnell erkundet. Ich bin über Felsen geklettert, hab mich durchs Gebüsch geschlagen, lag an weißen Sandbuchten, hab alte Piratengräber besucht und wollte nun auf die Nachbarinsel Round Island, die nur 100 x 200 m groß und das tropische Nobelviertel der Seychellen ist. Da wollte ich hin, ins Hideaway der Super-VIPs, das früher übrigens Leprastation und dann Gefängnis war. Die Insel ist nur wenige 100 Meter entfernt, aber wie hinkommen, wenn nicht schwimmen? Dan, Dan der Kapitän langweilt sich sicher wieder fürchterlich mit dem Touristen-BBQ. Ein wenig mit dem Wimpern klimpern und einen unsagbar flehender Blick brachten mich an mein Ziel. Rein ins Boot und raus am Strand von Round Island. Hier werden sie also gemacht, die Neidischmalchbilder der Seychellen.

Dan denkt ja, ich sei eine russische Fotografin (siehe dazu den nächsten Beitrag), und schickte mir daher kurzerhand einen weiteren Bootstransfer der mich von paradiesischen Stand auf eine noch viel paradiesischere Sandbank bringen sollte. „Take some nice pictures …“ Ja, das war die Geschichte ganz oben im Text. Und ja, ich wurde vor der Flut wieder abgeholt.

„Akku erschöpft“ artikuliert sich meine Kamera. Und was mein Akku kann, kann ich schon lange. Es war aber auch ein sehr erlebnisreicher Tag.

Orte: Moyenne Island, Round Island, Sandbank irgendwo dazwischen
Wetter: großartige 29 Grad

Heute Abend wird die weiße Nacht gefeiert. Ich habe beschlossen in schwarz diese elustere Tanzveranstaltung zu besuchen. Ich bin gern für ein wenig farbliche Abwechslung. Zudem verschwindet man derartig gekleidet schnell in den dunklen Ecken der Lounges und kann unbemerkt beobachten.

Ich stelle fest, dass definitiv nicht jedem die Farbe Weiß steht. Ein junges Mädchen, etwa 10 Jahre alt, mit dem Kampfgewicht eines ausgewachsenen Babyelefanten, hätte besser die letzten Cremetörtchen auf dem Teller gelassen. Auch die Samtschleife und die zahlreichen schwarzen Punkte auf dem weißen Puffärmelkleidchen täuschten nicht über ihre unvorteilhaft betonten Problemzonen hinweg.

Das ältere Pärchen am Nachbartisch wäre auch mit weniger Weiß gut bedient gewesen. Ihr Kleid war durchsichtig und hatte den Stoff eines feinmaschigen Moskitonetzes. Drunter trug sie eine Art Bandage, die offensichtlich ihr antrainiertes Körperfett beisammenhalten sollte. Aber manchmal ist man eben auch gegen Naturgewalten machtlos. Ich bemerke dazu, Stil ist definitiv nicht nur das Ende eines Besens.

Seine Hose ist viel zu klein und das Jacket viel zu groß. Die goldenen Knöpfe stammen sicher aus dem Nähkästchen von Frankensteins Mutter und hätten mal wieder aufpoliert werden können. Dafür hat er aber schöne Zähne. So schön wie Sterne. Gelb und weit auseinander. Und seine weißen Lackschuhe beeindrucken mich ein wenig.

Oh nein, das Animationsprogramm mit Lemmingtanz geht los. Ich muss weg.

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Nachdem die Chipmunks offensichtlich in Victoria ausgewildert wurden, läuft nun in Dauerschleife der George Michael Last Christmas-Gedächtnissong. Es ist unmöglich, sich den hell klingenden Glöckchen zu entziehen. Überall warten sie auf einen. Selbst im Fahrstuhl ist man nicht mehr vor ihnen sicher. Nach der fünften Runde „I gave you my heart but the very next day schalali und schalala“ wünsche ich mir die knuffigen Chipmunks zurück.

Unter linguistischem Aspekt betrachtet war Guy ein Sprachgenie. Es sprach 8 Sprachen und die alle gleichzeitig und zusammen. Manchmal auch in einem Wort. Er feiert in 3 Tagen seinen 64. Geburtstag und zeigt sich optisch in seinen besten 50ern. Ich glaube, Guy weiß auch um die Magie der feuchtigkeitsspendenden Tuch-Maske von Garnier.

Guy war mein Guide für den heute so regengrauen Tag. Er stand in seinem weißen Leinenhemd, seinen beigefarbenen Gummisandaletten, die an den Seiten Löcher hatten, um das Wasser aus dem Schuh zu quetschen, einen schwarzen Regenschirm und seinem bunt bebildertem Tourenboard vor dem Schiff. Mein Ziel: Ich möchte dahin, wo die Sonne scheint.

Ein professioneller Blick in den Himmel, eine ausführliche Expertenerklärung zu Cumulus, Cumulonimbus, Stratus, Altostratus und Nimbostratus und schon war klar, wir fuhren Richtung Süden und Westen. Dort, wo der böse Nimbostratus mit seinen Freunden nicht hinkommt.

Guy sprach nicht nur unzählige Sprachen, er ist auch Immobilienmakler, Pilot, Kapitän, Wasserskilehrer, Guide und Inhaber eines Reisebüros. Ich glaube, seine anderen Jobs hat er mir verschwiegen. Ich wäre auch irgendwann misstrauisch geworden. Seine kleinen Geschichten jedenfalls -sofern ich verstanden habe, was er mir sagen wollte- deuten auf ein ungewöhnlich abwechslungsreiches Leben oder auf eine äußerst beunruhigende Phantasie. Er ist übrigens auch Inhaber eines Inselrekords. Mit 60 Jahren ist er zum sechsten Mal Vater geworden. Das hat hier wohl bisher keiner geschafft.

Und tatsächlich, hier im Süden und Westen haben sich nur Cirrus und Cirrostratus verirrt. Das Meer ist blau wie Schlumpfeis und die weißen Strände sind lang und schön wie in der Rafaellowerbung. Ich sah bunte Fischerbote, die bei Ebbe im Wasser auf der Seite lagen. Riesige Granitfelsen von denen Waghalsige in die Tiefe sprangen. Ich habe Riesenschildkröten gefüttert und an Zimtbäumen geknabbert, berühmte Künstler der Insel kennengelernt und stand zum Ende der Inseltour auf der Bergspitze mitten im Stratus*. Das war alles sehr beeindruckend.

*Eine dunkle, durchgehend graue Wolkenschicht mit ziemlich einförmiger Untergrenze, aus der Sprühregen bis verdammt viel Regen fällt.

Orte: von Victoria an der Küste entlang in den Süden, Südwesten, Westen und quer über den Berg zurück nach Victoria
Wetter: je nachdem wo man auf der Insel war – von hellrosa bis kackebraun

Wenn dein Kabinensteward „Good night, Madame.“ sagt, weißt du, dass du nicht mehr zu den Mittdreißigern gehörst, die bis zum Morgengrauen in der Karaokebar „Best of Lady Gaga“ hoch und runter feiern. Ja, ich gebe offen zu, diese Erkenntnis hat mich ein wenig aus meinem derzeitigen seelischen Gleichgewicht geschoben.

Also – es gab 2 Möglichkeiten mit dieser Aussage erwachsen umzugehen:

Ich besuche jetzt das Videokonzert von Andre Rieu auf Deck 8, genieße den russischen Säbeltanz, wiege mich seicht in den virtuosen Klängen seiner unbezahlbaren Stradivari und fühle mich als Jüngste im Kreise der Weisen und Propheten. Ja, unter Blinden ist der einäugige König.

Oder ich buche sofort das komplette Beautyprogramm von links oben nacht rechts unten, das ganze dann noch einmal zurück und werde mich, wenn erforderlich, bis zum Frühstück an die Behandlungsliege ketten. Anschließend müssen mich die Beautyladies mit „Eure Hoheit“ anreden.

Oh, es gab noch eine dritte Möglichkeit: Ich haue dem Kabinensteward eine rein.

Option 3 habe ich verworfen. Dafür verwüste ich ab morgen jeden Tag meine Kabine, damit er mal richtig was zu tun bekommt. Da haben wir beide richtig Spaß.
Bei Option 1 war ich Nahe an der Versuchung, konnte aber mein seriösen Blick nicht finden.
Bleibt also Möglichkeit 2. Und mit ein wenig Realismus beleuchtet, blieb von meiner Idee lediglich eine intensive Tuch-Gesichtsmaske von Garnier übrig. Propylene Glycerol, Alkohol, Phenoxyethanol, Potassium Hydroxide, Sorbic Acid, Xantan Gum und noch sehr viel mehr vertrauenserweckende Inhaltsstoffe sollen es nun richten. 15 Minuten einwirken lassen, wird empfohlen. Blödsinn, das bleibt die ganze Nacht lang drauf. Auch wenn ich morgen früh so jung aussehen werde, dass ich nicht ohne Begleitung eines Erwachsenen reisen dürfte, meine Kabine verwüste ich trotzdem.

Dicke graue Wolken die in den Bergen festhingen, ließen meine gelernte Bilderbuchvorstellung von Sonne, endlos weißen Stränden, türkisfarbenem Meer und grünen Palmen wie ein überfahrenes Kaninchen auf der Schnellstraße langsam dahinsterben. Ja, es war dunkel im Paradies. Daran konnte auch die musikalische Dauerbespielung der ortsansässigen Musik- und Tanzgruppe nichts ändern, die sich mit Leib und Seele einer perfekten Inszenierung hingab.

Nunja, nun bin ich ja schon mal hier, in Victoria, der kleinsten Hauptstadt der Welt. Ziehen wir uns die rosa Brille auf und ab in die Stadt, die heute Feiertag hat. Es ist leer hier. Keiner zu sehen. Alle Türen zu. Dagegen ist ein Friedhof eine Partymeile.

Ich habe den Hindutempel gefunden. Schön bunt. Von außen und von innen. Und drinnen blieb ich lange, seeeehr laaaange, denn von den übertrieben großen Regentropfen wäre ich vermutlich nicht unverletzt geblieben. Ein barfüßiger, alter, dickbäuchiger Mann mit nacktem Oberkörper und bemalter Haut bot mir eine Schale Reis an und ich vermute, gleich noch einen Religionswechsel mit dazu.

Der nächste Punkt auf meinem Stadtrundgang war der Botanische Garten. Herje, da verspricht das Wort auch mehr als es halten kann. Die Wegbeschreibung durch den Park war abenteuerlich und der Plan dazu wurde von malenden Elefanten entworfen. Oder entstand in einer Blindenwerkstatt. Ich hab mich an Palmen und Tümpeln und Flughunden und sonstigem Grünzeug zu den Riesenschildkröten vorgearbeitet. Die sehen schon komisch aus und bewegen sich noch unterhalb einer messbaren Geschwindigkeit. Lustige Tierchen, wie sie da so rumliegen und gelangweilt in die Gegend schauen.

So, und wo sind nun die weißen Strände und die traumhafte Welt der Seychellen? Ein Taxifahrer mußte her. – Nachdem ich mir den Ausweis und den Führerschein zeigen lassen habe, bin ich eingestiegen in das Piratentaxi, ein nicht offizielles Taxi quasi. Ich hab zunächst von meiner Kampfsportausbildung gesprochen und meiner nicht zögerlichen Art, jemanden zu Boden zu strecken. Nur damit er schon mal weiss, mit wem er es zu tun hat. – Das Auto hielt nur noch der Keilriemen und eine Schicht Rost zusammen. Ansonsten fehlte es an den für ein Fahrzeug markanten und nicht unnötigen Einbauten und Instrumenten. Aber hey, Mut zur Lücke und wer kann einem Touristen seine Insel besser zeigen als ein einheimischer Taxifahrer. – Ja, ich habe sie gesehen, die weißen Strände mit großen Felsen und türkisfarbenen Wasser. Es gibt sie doch.

Ort: Victoria, Seychellen
Gelaufene Strecke: 21,4 km
Wetter: 29 Grad, Regen, Sonne, Regen, Sonne

Es ist heiß. Sehr heiß. Sehr, sehr heiß. Meine Flipflops hinterlassen einen Gummiabdruck auf Deck 11. Noch ein paar Meter mehr und von meinem Schuh bleibt nur noch der Zehentrenner übrig. Die Sonne brutzelt einem das Gehirn weg. Viele scheinen auch schon gar keins mehr zu haben. Bei 32 Grad und ohne auch nur einen winzig kleinen Luftzug (es gab nicht mal einen minimalistischen Fahrtwind – warum eigentlich nicht?), garen sie in der chilligen Mittagssonne vor sich hin. Es duftet nach Bizzbruin, Nivea und Ambre Solair. Letztes verwende übrigens ich. Manchmal kommt noch der Geruch von Axelschweiß dazu und Stinkefüßen – nein, nicht von mir. Eine hochbrisante Mischung, die mich aus einem wunderschönen Schlummerland mit kalorienfreien Mangotörtchen und twistenden Chipmunks ungefragt in die Realität zurück katapultierte. Und dann war da noch dieser Grillgeruch, der entweder von der Burgerstation oder vom Sonnendeck der Alterslosen in meine Nase kroch. Ein Vormittag mitten auf dem indischen Ozean, wie er fast nicht hätte schöner sein können.

Ich war Tango tanzen. Falsch ausgedrückt. Ich habe mit 60 anderen Reisenden den Tango-Grundschritt, eine Drehung und eine Promenade gelernt. Hui, was für eine Herausforderung! Sah ich mich doch schon auf den großen Tangofestivals dieser Welt tanzen. Aber da ich mich heute nur aus der Kabine bis zur Sonnenliege und nach einem kurzen Umweg über die Shoppingmall wieder zurück in meine weihnachtlich geschmückte Kabine bewegt habe, ist ein klein wenig sportliche Betätigung ja was Feines. Bedauerlicher Weise steht Tango Argentino nicht auf der Animationliste für den gemeinen Kreuzfahrt-Reisenden und so dachte ich, mach ich einfach mal mit beim Hausfrauengrundschritt slow, quick, quick, slow. Da kann ja auch nicht so viel schief gehen. Also slow, quick, quick, slow und slow, quick, quick, slow. Und das Ganze dann noch ein bis 12 mal hintereinander. Selbst für Bewegungslegasteniker wie mich eine durchaus schaffbare Schrittkombination. Slow, quick, quick, slow und slow, quick, quick, slow. Scheinbar blieb mein hervorstechendes Tanztalent nicht ganz unbemerkt -an dieser Stelle danke Santiago für die Vermittlung des argentinischen Tanzgutes in unseren so schweißtreibenden Privatstunden- und so durfte ich mal alles eben schön vortanzen. Ja, Dankeschön Santiago!

Ort: irgendwo im indischen Ozean, nur noch wenige hundert Seemeilen vor den Seychellen

Meine Kabinentür feiert Weihnachten. Sie hat sich mit 3 roten Glitzersternen und einer goldenen Bommel geschmückt. Unmotiviert schwingen sie mit den Wellen vor sich hin. Und links und rechts und links und rechts. Und fünf, sechs, sieben acht. Und das ganze wieder von vorn.

Auf meinem Bett steht eine Orginalbackware aus Italien mit Naturhefe, Frischei, Butter, Zucker kandierten Orangenschalen, Sultaninen, Mono- und Diglycerine sowie pflanzlichen Fettsäuren. Bebildert ist hellblaue Umverpackung mit einem Weihnachtsstollen. – Ach wie aufmerksam.

Ich suche nach Geschenken, die hier vielleicht noch irgendwo versteckt sein könnten.
Keine gefunden. – Schade.

Ich frage mich, was eigentlich in meiner Kabine passiert während ich weg bin? Werden wilde Parties gefeiert? Vielleicht von den Chipmunks?

Mist, jetzt habe ich die Beichtstunde von Don Pedro verschlafen. Es wäre wirklich wichtig gewesen hinzugehen, denn inzwischen hege ich böse, sehr böse Gedanke gegen diese kleinen singenden Gremlins, die sich seit gestern in mein zentrales Nervensystem gehakt haben. Ich behaupte diese kleinen Biester eben am Kuchenbuffet beobachtet zu haben, wie sie mit gekonnten Loopings in die Sahneschale sprangen. Ich glaube, ich werde wahnsinnig. Ich muss Wellness buchen. Oder meine innere Harmonie mit einem Stückchen Mangotörtchen wiederherstellen. Wenn es diese kleinen Häppchen bloß ohne Kalorien geben würde… nee, sowas können wir nicht erfinden, aber zum Mond fliegen, das geht.

Der Weihnachtsbaum und ein Weihnachtsstern blinken hektisch von der höchsten Stelle des Schiffes – check ✅

Das Ave Maria klingt weinerlich aus der Pool Bar Saint-Tropez (ich vermute, die Chipmunks sind noch zu jung für diesen Spätauftritt) – check ✅

Die Bommeln der Weihnachtsmützen wiegen sich leicht im Wind – check ✅

Alle Gäste an Board – mir egal.

Dreimal auf die Schiffströte gedrückt und los gehts. Raus aufs Meer.

Ich lausche einer Pianospielerin, die ein bunt blinkendes Merry Christmas-Krönchen trägt. Das Kleid ist etwas zu eng und zu kurz. Aber man achtet eh nur auf den nervösen Farbwechsel ihrer königlichen Kopfbedeckung. In diesem Outfit könnte sie im Wedding arbeiten und sich harmonisch in die Kaplan-Dönerbuden integrieren. – Sie spielt Klassiker der Popgeschichte der letzten hundertfünfzig Jahre. Manche Töne sind etwas schräg, soweit ich das als unmusikalisches Frettchen beurteilen darf, aber dafür ist jede einzelne Note mit Leidenschaft gespielt. – Ich warte auf den Moment, in dem die Chipmunks an ihr hochklettern, sich ein Nest in ihren Haaren zupfen oder aufs Klavier hüpfen und in ihren Hawaiihemden steppend Merry Christmas singen.

Ort: von Mauritius zu den Seychellen

11:30 Uhr und ich bin auf dem Schiff. Ich glaube, ich war noch vor den ersten abreisenden Gästen an Board. Mein erster Eindruck: klein, ja fast winzig. Ungefähr so winzig dass ich glaube, die gesamte Crew müßte mit einem separaten Schiff hinter uns her paddeln. Oder die Beiboote werden als zusätzliche Bewegungsflächen mitgenutzt.

Nachdem das angebotene Frühstück im Hotel püriert in eine Nagellackflasche gepaßt hätte, bin ich jetzt eine von den verhaßten Personen, die noch vor Buffeteröffnung die mühevoll drapierten Speisen verwüsten. Er war mir egal, ich habe Hunger. Ein breites Lächeln, das auch in Port Louis für das ruckartige Betätigen der Mopedbremse sorgte, sollte wohl auch jeden noch so hart gesottenen Kombüsenchef klein kriegen. – Na geht doch. Es gab lecker Pommes mit Mayo, einen großen Obstsalat und vitaminreiche Fruchtschnittchen zum Nachtisch. Und um ehrlich zu sein, ein keines Schokoladeneclair hüpfte dann auch noch auf meine Hüftpartie.

Meine Kabine ist groß. Erstaunlich groß für das winzige Schiff. Ich bin wirklich überrascht. Oder könnte es sein, dass ich diese noch mit einem Barkeeper oder Schiffsmonteur teilen muss? Ich habe noch einen Schrank gefunden, in den man locker jemanden stellen könnte. Daher mal nicht den Tag vor dem Abend loben.

Das Schiff ist schnell erkundet. Der aufmerksame Leser hat bereits abgespeichert, daß alles recht übersichtlich ist. Die gesamte Besatzung läuft mit roten Weihnachtsmützen aus Samt mit weißen Bommeln rum. Sicher eine geniale Idee des ansässigen Animationsteams. Ich bin gespannt was die sonst noch so drauf haben.

Ich lernte Starlett kennen. Eine Dame aus dem Beauty-Wellness-Bereich. Sie kommt aus Bangladesh und ist noch gute 15 cm keiner als ich. Gemeinsam erkundeten wir die Möglichkeiten dieser Wellnessoase und der preisgekrönten Anti-Age-Anwendungen. Dampfsaunen, Aromasaunen, Saunen mit unterschiedlichen Temperaturen, Eisschockraum, Thalassobäder, Fußbäder, beheizte Liegen aus Stein, Entspannungsraum, Teezeremonieraum, Solarium – ich habe irgendwann aufgehört ihren Worten weiter zu lauschen und sah mich bereits den ganzen Tag in einem strahlend weißen Bademantel das gesamte Angebot hoch und runter schlürfen.

Noch ganz vom Duft der Aromasauna traumatisiert schwebte ich auf einer sanften Wolke aus Lavendel, Vanille und Ylang-Ylang ungebremst den Tatsachen entgegen. Die Chipmunks singen Weihnachtslieder und es gab nur einen Ort, wo sie nicht hinkommen würden. Die Wellnessoase! Spätestens jetzt war ich einer 14tägigen Buchung so nahe wie nie zuvor.

Ort: Port Louis
Gelaufene Strecke: 8,5 km
Wetter: 30 Grad und ein paar weißen Wölkchen

Mein Zimmer ist sauber, zweckmäßig und spartanisch eingerichtet. Ich habe ein Bett, einen Schrank, einen Schreibtisch, zwei Stühle, einen Flatscreen, ein Klimagerät mit Fernbedienung, ein Fenster und ein Badezimmer mit Dusche und Licht. -Wir erinnern uns daß es auch Badezimmer ohne Licht geben kann.- Gegenüber meiner Zimmertür ist der Fahrstuhl. Das „Pling“ der Tür ist recht schnell überhörbar und reiht sich harmonisch in das restliche Umgebungsrauschen ein. Der Ausblick ist in die Berge und auf das Friedensmahnmal Marie Reine de la Paix. Es scheint gegenüber ein Biotop oder einen tierfreundlichen Unterschlupf zu geben. Von dort dringen äußerst bemerkenswerte Geräusche, die das Herz eines jeden Ornithologen zum Hüpfen bringen würde, durch mein offenes Fenster. Zunächst singt sich ein Vogel die schrillsten Töne aus seinem gefiederten Leib. Ein zweiter stimmt ein, krächzt völlig daneben die Tonleiter rauf und runter und ist musikalisch betrachtet völlig talentbefreit. Dann begleitet ein heulender Hund den Gebetsgesang einer naheliegenden Moschee. Klingt eigentlich ganz schön. Auf dem musikalischen Höhepunkt bringen es aber röhrende Frösche oder welches prähistorische Kleingetier auch immer sich diese Geräusche aus seinem Körper pressen kann. Inbrünstig und gnadenlos gegenüber den unmittelbaren Anwohnern geknarzt und quakt es wie am kleinen Teich den meine Oma früher einmal hatte und in den ich mehrfach gefallen war. Lurchi, so nenne ich den lebenslustigen Quaker mal, ist so übermütig, dass er offensichtlich die Zeit vergisst. Nachtruhe? Licht aus? Schlafenszeit? Das alles scheint im geselligen Tierleben der röhrenden Freunde nicht klar definiert zu sein. Also lausche ich den unmelodischen Tönen, errate daraus Melodien der angesagtesten Lieder der Top 100 und frage mich, sprechen die Tiere mit mir? Was steckt hinter ihrer eigentümlichen Botschaft „pri o wit wit wit or priorrrrr“ oder „raaarr, quark, rrrrrrraaaaaaaaaaaaaaaaaaa“? Obwohl ich mir wirklich größte Mühe gebe, den Inhalt dieser 1000fach wiederholten und offenbar äußerst wichtigen Aussage zu verstehen, bleibt mir die Bedeutung genauso unbekannt wie die chinesische Sprache des Kioskbesitzers nebenan, bei dem ich ein vegetarisches Panini bestellt habe. – Stille. Ich lausche angestrengt der ungewöhnlichen Ruhe. Kein „raaarr, quark, rrrrrrraaaaaaaaaaaaaaaaa“ mehr. Bin ich spätertaubt? Ist es eine künstlerische Pause oder sind die Frösche vielleicht mal eben an die gegenüberliegende Hauptstraße vorbeigesprungen?

Schnell schlafen, bevor noch die gemeine Rohrdommel ihr Liedlein im Morgengrauen anstimmt.

Was kann der Mauritianer am Besten?

1. Hupen — gern ohne triftige Gründe und einfach mal nur so weil die Sonne scheint, die Hupe so schön klingt oder der nächste Hörtest wieder fällig ist

2. Shoppen — mit utopisch lauter Musik, die das Etikett in den Händen zum Zittern bringt und eine verbale Verständigung unmöglich macht. Gern gekauft werden Plastikblumen. Auch Spielsachen, die die Geräuschkulisse eines startenden Airbusses realistisch nahe kommen. Bei allem ist extrem viel Farbe dabei und das Gütesigel Made in Malaysia oder wo sonst noch dieser knallbunte Plastik zusammengeklebt wird.

3. Sich durch noch so enge Straßen, Märkte und Minilädchen zu quetschen und dabei auf größtmöglichen Körperkontakt zu achten. Ja, der Mauritianer braucht Nähe, sehr viel Nähe, sehr, sehr viel Nähe.

4. vegetarische Paninis toasten — ja, die Paninis sind Weltklasse!

12,5 km durch eine hitzige, brodelnde Stadt und was ich ganz blitzschnell gelernt habe:

1. Laufe auf der Straße um den überfüllten architektonisch viel zu eng angelegten Bürgersteigen zu entfliehen.

2. Überquere die Straßen zwischen den Autos und unberücksichtigt von heranrasenden Mopeds – ein breites Lächeln hilft die Bremse auszulösen.

3. Richte den Blick immer -und ich meine wirklich immer- nach unten, andernfalls fällst du in tiefe schwarze Löcher, lange Gräben oder riesige Wasserrinnen, trittst ins Leere, weil mal eben einfach so Stufen fehlen, die vermutlich an anderer Stelle spontan wieder auftauchen, — aha, da sind sie ja … stößt dir die Zehen, weil plötzlich und ganz überraschend Stufen die abenteuerliche Wegeführung bereichern, stolperst über Müll und vergessenen Utensilien des täglichen Lebens, wickelst dir Stromleitungen um den Hals, brichst dir die Knochen, weil irgendwas einfach so im Weg liegt oder bleibst spontan in einem Bodengitter hängen. Ja, die Möglichkeiten der Verunfallung in den Straßen von Port Louis sind zahlreich, vielfältig, hochgradig kreativ und artenreich ausgeprägt.

Ort: Port Louis
Gelaufene Stecke: 12,5 km
Wetter: 31 Grad

2:35 Uhr. Ich kämpfe angestrengt für mehr Gelassenheit auf dem nicht altersgerecht ausgeleuchteten Flughafen in Dubai. Überall schlafende Menschen, eingemummelt in Decken und Jacken. Ein lautes Surren der Klimaanlage, die allen sonnenverwöhnten Emiraties vermutlich einen Tag in den winterlichen Alpen näher bringen sollte und das typische Geräusch rollender Koffer über Fließbänder hindern mich daran, von rosafarbenen Einhörnern zu träumen und winzige Feen durch den Wald fliegen zu sehen. Kleine Fahrzeuge, weihnachtlich mit grünen Girlanden, roten Blüten und unzähligen Zuckerstangen geschmückt, fahren voll beladen mit gehschwachen Menschen durch den Terminal und hupen sich unaufhörlich den Weg frei. Es gibt zwei verschiedene Töne, die sich in sekundenschnelle den Weg ins Mittelohr frästen und sich mit Wiederhaken dort festsetzen. Keiner der beiden klingt annähernd nach leicht säuselnden Glöckchen, die man von der Helene-Fischer-Weihnachts-CD so kennt. Untermalt wurde dieses Grundrauschen von quengelnden Kindern und genuschelten Flugansagen. Ja, ein Tinnitus wäre ein Segen gewesen. Guten Morgen Dubai!

Weitere 7 Stunden Flug lagen vor mir. Und die Hoffnung nach Stille in einem halbleeren A380. Sagen wir so: Der A380 war es schon, aber halbleer und Stille fanden sich in der echten Welt definitiv nicht in dieser Kombination wieder. Ja, Realität ist was für Menschen, die Angst vor Einhörnern haben. — Ich trotze den grausamen Tatsachen, bastel mir ein Bett aus Feenstaub und Konfetti und knetete mich in eine sportmedizinisch betrachtet sehr riskante Position. Ich wußte, daß mein Erwachen von grausamen Schmerzen und äußerst schlechter Laune dominiert sein würde.

Durchgeschlafen, Knochen sortiert, Körper auseinander gefaltet so gut es meine eingeschränkte Motorik noch hergab. Die tief gefurchten Druckstellen auf meinem Gesicht ließen auf eine sehr unkomfortable Haltung schließen. Aber alles egal. Guten Morgen Mauritius!

Ort: Mauritius
Wetter: 31 Grad und Sonnenschein