2017: Indischer Ozean

Reisezeit: 21. Dezember 2016 – 13. Januar 2017
Kreuzfahrtschiff: Costa NeoRomantica

Reiseroute Indischer Ozean:
Port Louis, Mauritius (2 Tage)
Port Victoria, Seychellen (4 Tage)
Nosy Be, Madagaskar
Diego Suarez/Antsiranana, Madagakar
Tamatave, Madagakar
St. Denise, Réunion (2 Tage)

Und dann gibts noch ein paar Tage ein Beachhotel auf Mauritius zur Entspannung obendrauf.

Die Rumflasche ist versiegelt. Die roten Wachsflecke auf den Badfliesen sind beseitigt. Der Schwimmtest im Meer ist erfolgreich abgeschlossen. Einen Fischer mit Boot ist gefunden. Und das alles vor 11 Uhr. Läuft.

Er strich gerade sein Boot mit weißer Farbe. Danach kämen blaue und rote Streifen. Seine dunkelbraune fast ledernde Haut war mit weißen Farbspritzern übersät. Er sprach englisch. Er sagt, er ist Fischer und fährt am Freitag wieder aufs Meer. Dann ist die Farbe getrocknet. Meinen Wunsch fand er äußerst amüsant auch wenn er ihn erst nach meiner fachlich sehr ausgereiften Demonstration auf dem Strand verstanden hatte. Freitag, versprach er mir, würde er die Flasche ihrem Schicksal überlassen. Irgendwo da draußen.

Mir ist nun klar, warum irgendwann einmal jemand eine Postkarte und die Briefmarke erfunden hat. Und damit schließt sich ein Kreis: Am ersten Tag auf Mauritius schaute ich mir die blaue Mauritius an und am letzten Tag verschicke ich eine Flaschenpost. Meine Briefmarke waren zwei Äpfel, eine Birne, ein schwarzer Kugelschreiber, eine Packung TicTac mit Mangogeschmack und eine 2 Euro-Münze. Der alte Mann hat sich darüber sehr gefreut.

Ort: Mauritius
Wetter: 28 Grad und leichter Wind

Die Tomatentarte zur Vorspeise war grandios, dann habe ich einen unglaublich guten Fisch gegessen, die Mango-Panna Cotta war Weltklasse. Ein Glas Rotwein bringt mich auf die grandiose Idee.

Ich google unter dem Suchbegriff „Wie verschicke ich eine Flaschenpost korrekt“. Ich finde detaillierte Bastelanleitungen, Tipps und Tricks zum erfolgreichen Versand. Diskutiert wird über Plastikflasche oder Glas, Flaschenfarbe und wie krieg ich das Ding wasserfest? Welche Tinte bleicht nicht in der Sonne und welches Papier eignet sich am Besten – dazu finde ich einen 6monatigen Langzeittest! Was schreibe ich eigentlich und was steck ich noch alles in die Flasche? Das Thema ist offensichtlich sehr umfangreich und bedarf einer äußerst präzisen Vorbereitung. Ich beschließe eine erste Testreihe im Pool zu starten.

Eine leere Rumflasche mit Schraubverschluss und eine Kerze zum Versiegeln bekomme ich aus der Küche. Papier ist unproblematisch. Ich habe mich für einen Bleistift entschieden. Wenn ich den Erfahrungswerten anderer Glauben schenken darf, ist Graphit ausreichend sonnenbeständig und überlebt Kugelschreiber und Filzstift. Das Equipment steht.

So… Was packe ich in die Flasche? Muscheln, die gibt es hier zur Genüge. Kleine Münzen, die ich von diversen Reise immer noch mit mir rum trage und die mich bei der Kleingeldsuche jedes Mal in den Wahnsinn treiben. Ich hab noch einen Geldschein der Seychellen und von Madagaskar. Und ein paar Straßsteinchen hätte ich auch noch im Angebot. Eine Sicherheitsnadel ist eine sehr schöne Idee und ein paar Teebeutel in den Geschmacksrichtungen Vanille, Kokosnuss und Golden Pekoe. Wattestäbchen und eine Nagelfeile. Und ein Mercedes-Benz Kugelschreiber. Das muss reichen.

Jetzt der Brief. Ich schreib wohl am Besten in Englisch. Oder male etwas. Ich bin noch unschlüssig.

Fertig. Ich hab beides gemacht.

Morgen früh muss ich den perfekten Platz finden. Wäre doof, wenn die Strömung sie gleich wieder ans Ufer trägt. Ich brauch eine Bootstour oder einen Fischer, der die Flasche mit auf sein Boot nimmt im irgendwo weit im Meer über Bord wirf. Das wird die eigentliche Herausforderung sein.

Welches Ding auch immer mich heute Nacht als Futtermeile genossen hat, es hatte Hunger. Sehr großen Hunger. Und vermutlich auch Zähne. Sehr viele Zähne. In mehreren Reihen hintereinander. Und es fand Geschmack an Nobite, der Mehrzweckwaffe, die man auch zur chemischen Reinigung von Halbleiterplatten nutzen kann. Vielleicht bin ich aber auch schlafwandelnd die Steilküste runtergestürzt und hab mich dabei im stachligen Grünzeug verfangen. Oder war mit Caipiranhas aus der Familie der Sägesalmler baden. Man weiß es nicht.

So. Vergessen wir die Nacht, es ist ein wunderbarer, sonniger Morgen. Und da ich heute so motiviert bin wie der Erfinder der Schweizer Fahne, lege ich einen Ruhetag ein.

Ein ganzer Tag voll mit Nichts-zu-tun. Wo fange ich damit am Besten an? Ah, ich weiß. Frühstück. Eine gute Ausrede sich anschließend träge in den Schatten zu legen und sich ausschließlich der Verdauung zu widmen. Es gab Pancakes. Ich hatte 6 davon. Die waren aber auch wirklich nur ein Hauch von einem Pancake. Aber lecker. Sehr lecker. Dann noch frisches Obst, grad vom Baum gepflückt und selbstgemachten Jogurt von mir verfeinert mit süß duftender Mangomarmelade. Das alles in einem kleinen Pavillon mit Blick auf das türkis leuchtende Meer und ein paar langweilig im Wind treibenden bunten Fischerbooten. – Es gibt Momente im Leben, da will man um keinen Preis tauschen. Auch nicht für die Handynummer von Daniel Craig. Hä, dafür schon!

Heute ist Strandtag. Ich tu also nix. Gestern habe ich auch schon nix getan, aber heute nehme ich es mir definitiv vor. Ich liege rum. Einfach so. Und beobachte den den kleinen schwarzen Vogel, der schnell über die heißen Holzpaneelen hüpft und sich im Schatten einer Liege sein Gefieder zurecht zupft.

Ich genieße das kleine idyllische Anwesen der Villa Anacao ganz allein. Eine gepflegte Gartenanlage mit vielen bunten Blumen und Bäumen, die ein Gärtner jeden Morgen bewässert, einen Pool, der in der Sonne mindestens genauso schön glitzert wie das Meer, das direkt vor mir liegt und bei dessen Rauschen ich komatös in den Tiefschlaf sinke. Unter Palmen und sonstigem Blattwerk sind keine chillige Inseln mit Sitzsäcken und Holzmöbel eingerichtet. Die lange und breite Terrasse vor dem gelb, weiß gestrichenen Anwesen glänzt mit einer gut sortierten Einrichtung und geschmackvoll gewählter Dekoration im Kolonialstil. Genau so ist die gesamte Villa eingerichtet. Das gefällt mir. Ich glaube, ich bleibe hier.

Ja, und dieses kleine Paradies gehört mir heute gaaannnz allein. Nur ich und der kleine schwarze Vogel, der sich fleißig Nestbaumaterial aus der Palme über mir rupft. Und ein seichter Wind und das Meeresrauschen und Vogelgezwitscher. Und WAS SOLL DENN DAS??? … Man, was kann ich Pech haben. 2 weitere Gäste entscheiden sich heute für ihren Strandtag in meiner weitläufigen Garten-mit-Meerblick-Idylle. Ich bin erschüttert und fürchte ich muss jetzt ein kleines Entspannungsschläfchen halten, bevor ich unschön ausraste.

Eine Wolke in den Umrissen von Italien verdeckt die Sonne nachdem ich meine 250 Bahnen im warmen Wasser geschwommen bin und mich trocknen möchte. Ein Palmenwedel über mir knarzt. Der schwarze Vogel mit den gelben Füßen zupft noch immer an der Palme rum. Kann man denn hier nirgendwo mal richtig entspannen!

Ort: Mauritius
Wetter: 29 Grad, gefühlte 44

Ich war ganz knapp davor die Gehege der weißen Tiger zu öffnen und die kleinen schreienden und drängelnden Kinder als hervorragenden Mittagstisch anzupreisen. Viel hätte nicht gefehlt und ich hätte einen Eintrag ins goldene Buch des Safariparks bekommen und wäre als Heldin gefeiert worden. Jaaaaaa, eine Giraffe läuft nun mal weg, wenn man schreiend und mit den Armen wild fuchtelnd auf sie zugerannt kommt. Und auch die vielen bunt gefiederten Freunde, die sich so wunderschön in die Kamerapositionen drapiert haben, machen in diesem Fall ihren Abflug. Der Pfau hat im Fluchtreflex gleich mal eine seiner bunten Federn verloren und die Kois verharren in der Mitte des Teiches bis zum Feierabend. Die Riesenschildkröten im Streichelzoo sind leider nicht schnell genug sich rechtzeitig vor den tatschenden Kinderhänden in Sicherheit zu bringen. Ich glaube, daher hat ihnen die Evolution das Mehrfamilienhaus auf dem Rücken geschenkt. Die Ziege von nebenan wußte sich zu wehren und auch der Esel hat ein paar Mal seine langen Zähnchen gezeigt, die übrigens durchaus ein wenig Pflege bedürfen.

Eine freilaufende Gans fand meinen Russisch-Roulett-farbenen knallroten Nagellack (wir erinnern uns, gekauft in Nizza) so aufregend, dass sie sich von mir unbemerkt lautlos von der Seite anschlich, ihren Hals reckte und blitzschnell auf meinem großen Zeh einhackte. – Ich bin definitiv dafür das Tier gefüllt mit Äpfel und Orangen zu Weihnachten mit Rotkohl und Klößen in Rotweinsauce zu servieren.

Ein Löwe langweilt sich auf einem großen Stein, die Hyänen schleichen wortkarg durch ihr Gehege. Das Nilpferd liegt stumpf im Sumpf. Wenigstens die Affen sind lustig drauf. Lange genug zugeschaut, bekommt man sogar Familiendramen mit.

Ganz Russland ist heute im Safaripark unterwegs. Ich fürchte, das Land ist jetzt leer. Groß und klein, jung und jung operiert, unterpolstert und gebotoxt. Im Designeroutfit, mit Louis Vuitton-Täschchen und tagesfrischem Make-up klettern sie in den Safaribus. Die Kinder dürfen alles, auch lauthals ihren Unmut in die Ohren der Mitfahrenden kreischen, dass der Strauß sie gerade mit dem Schnabel bearbeiten wollte, nachdem man ihm auf dem Kopf gehauen hat.

Ich versuche in meinem ausgelagerten Daten nach russischen Wortfetzen zu suchen, die meine leichte Aggression zum Ausdruck bringen sollten. Außer „Dostoprimeltschatchelnosty“ und „U Menja jest brat“ ist mit auf die Schnelle nichts eingefallen. Und auch die Zahlen von 1 bis 100 hätten mir in diesem speziellen Fall nicht weiter helfen können. – Verdammt, warum lernt man in der Schule nichts fürs Leben?

Ort: Mauritius
Wetter: 29 Grad

Im kleinen chinesischen Laden 50 Meter von der Villa entfernt kannst du einfach alles kaufen. Kaum merklich sortiert und in Glaskästen zur Schau gestellt bekommt man von der leicht verstaubten Hello Kitty-Handtasche bis zur mit Atomstrom betriebenen Kuckucksuhr ein breites Sortiment an Nahrungs- und Genußmittel sowie Waren des täglichen Bedarfs. Leicht vergilbte Barbiepuppen, Rasierschaum, Winkekatzen, Säcke mit Reis, belgische Schokolade, Duschgel aus Madagaskar und die verschiedensten Autoteile. Kräuter, Fisch, Ansichtskarten, dekoratives Kunsthandwerk, geflochtene Hüte, Kartoffelchips, Havaianas, Baguettstangen und chinesische Heilmittel. Ich fürchte, wenn ich die kleine Verkäuferin nach Pflanzendünger für Usambaraveilchen fragen würde, schleppt die mir einen Sack an den Tresen. Es ist unglaublich, was hier alles rumsteht. Man kann das ganze Ausmaß nur in einer Langzeitstudie erfassen. Diese kleine Wellblechbude mit ihren 15 qm Grundfläche führt mehr Artikel als Karstadt am Leopoldplatz und Reifen-Müller zusammen.

Ort: Mauritius
Wetter: 28 Grad

Minikrabben am Strand zu fangen erfordert ein geschultes Auge, äußerste Konzentration, rasante Schnelligkeit und gezieltes Zupacken. Die Biester sind schnell. Mit ihren kleinen Beinchen flitzen sie im rasanten Tempo über den Strand und verstecken sich hinter Steinen, verschwinden in Löchern oder surfen mit der nächsten Welle davon. Naveli und Karis sammeln sie in einer alten Plastikflasche, die mit Sand und ein paar Muscheln gefüllt ist. Ich konnte um die 20 Stück zählen und habe keine Ahnung, was die beiden Vorschulkinder mit den Minikrabben machen werden. Ich hoffe, dass sie nicht aufgezogen an einer Perlenkette oder im Mischfutter für ihren kleinen schwarzen Hund enden. Dann wäre ich Mitschuld am jungen Ende eines guten Dutzends, denn auch ich war ein paar Mal schneller als die flüchtende Krabbe.

Ort: Mauritius
Wetter: 30 Grad


Paul, ein alter, kleiner chinesischer Mann überzeugte mich mit seiner uneingeschränkten Höflichkeit, mir den Norden Mauritius zeigen zu dürfen. Er war ordentlich gekleidet, dennoch verriet der erste Blick, dass er nicht auf der Sonnenseite des Lebens steht. Er fährt ein sehr altes rotes Auto. Auf dem Cockpit liegt ein von der Sonne ausgeblichenes schwarzes Deckchen mit ungezählten goldenen Trotteln. Am Rückspiegel hing eine silberne Schildkröte. Die Türinnenverkleidung war nur noch homöopathisch vorhanden und selbst mühsam angebrachte Flicken machten es nicht besser. Eine Klimaanlage war nicht notwendig, 4 offene Fenster sorgen für ausreichend Durchzug. Die Sitze hatten ihre besten Zeiten als Frank Sinatra mit My Way auf der Bühne stand. Seine Brieftasche versteckt er unter der Fußmatte des Beifahrers, schloss den Wagen aber nie ab. Gas, Kupplung, Bremse und Gurt waren funktionstüchtig. Weitestgehend. Unser erster Stopp war an einer Tankstelle. Die Tanknadel stand nun 3 cm über leer.

Paul war 74 Jahre alt, kam aus Singapore und war mit einer Thailänderin verheiratet. Sie haben zusammen zwei Kinder und leben außerhalb von Port Louis. An seinem Haus wachsen Mangos und Litchis, von denen er mir morgen einen Beutel voll mitbringen möchte. Er war in seinen jungen Tagen Seemann, Kampfsportler und spricht sowas um die 10 Sprachen. Englisch ist davon nicht seine beste, aber chinesisch kann ich ja auch nicht.

Mehr Sorgen als der erwartete Sonnenbrand auf meiner linken Schulter bereitete mir der Gedanke, bei unerträglicher Hitze mit einer leeren Wasserflasche zu einer Tankstelle laufen zu müssen. Gnadenlos senkte sich die Nadel cm für cm. Ich hoffte, nein, ich betete für abschüssige Berge oder wenigstens Hügel, die uns in die Stadt zurück rollen ließen. Paul hoffte wohl das gleiche. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er etwas vor sich hin flüsterte und sich danach zweimal bekreuzigte. Erzählte er mir nicht vorhin, er sein Buddhist?

Inzwischen überholen uns Fußgänger und ich glaube auch Kriechtiere an uns vorbeiziehen gesehen zu haben. Aber … nur wer langsam reist, sieht auch was von der Welt.

Verdammt. Jetzt erinnere ich mich, woran ich heute Morgen unbedingt denken wollte. Jaaaaa, die Speicherkarte…. Richtig. Ich wollte unbedingt an eine neue Speicherkarte denken. Das fiel mir genau in der Sekunde ein, als das Display die winzige Leuchtnachricht „Speicherkarte voll“ mir mitten auf die Netzhaut brannte. Mist! Aber neeeeiiiin, kein Grund zu hyperventilieren, ich hatte Paul! Paul war meine Geheimwaffe. Kurz meinen Wunsch geäußert, dreimal die Schuhe an den Hacken zusammengeschlagen und schon standen wir an einer Fleischtheke in einem örtlichen kleinen Supermarkt. Keine 3 Minuten später hielt ich eine niegelnagelneue 8 GB Samsung-Speicherkarte in der Hand. Ich habe gelernt: Fleischtheken werden deutlich unterschätzt.

Ort: Mauritius Nordküste und der Botanische Garten und sonst wo überall
Wetter: 32 Grad

Während sich der Guide ohne Namen in seinen Sprechpausen im Reiseführer und mitgebrachter Fachliteratur Grundwissen über die Sehenswürdigkeiten und geschichtlichen Ereignisse von Réunion aneignet, betrachte ich ihn mir näher. Er trägt einen hellbraunen Filzhut über seinem lockigen Haar und hat bis zum bitteren Ende abgekaute Fingernägel. Geschätzt ist er nicht älter als 28. Er trägt eine Narbe über der linken Augenbraue und eine Hose die sich bei Berührung mit Wasser in ihre Atome auflösen wird. Er lispelt. Seine englische Aussprache mit hardcore-französischem Akzent ist nur mit einem wachen Verstand und einer guten Portion Phantasie zu verstehen. – Alles egal. Heute ist Abenteuertag.

Es war wie in diesen Filmen in denen man vorhersagen kann, dass der letzte in der Gruppe die Person sein wird, die in der Finsternis von einer fürchterlich gefräßigen Mutation mit pockenübersäter Haut und blutroten Augen am Bein gepackt, in seine unterirdische Speisekammer gezerrt und in einen fürchterlich klebrigen Kokon eingesponnen wird. Ich war die letzte in der Gruppe die sich auf Knien kriechend und der Nase im feuchten Boden durch den engen Lavatunnel des Vulkans Piton de la Fournaise robbte. Hinter mir Finsternis. Dunkelheit. Tiefschwarz. Hier und da ein Knarzen von vermutlich der oben beschriebenen Kreatur. Ich blickte mich um, meine Helmlampe leuchtet in den finsteren Gang, durch den ich gerade in 4 Meter Tiefe gekrochen bin. Es hingen spinnwebenartige Wurzeln von der Decke und von dünnen Lavasteinnasen tropft Wasser auf den Boden. Im Schein der Lampe sieht man schwebende Partikel und verdampfendes Wasser. Irgendwas Kleines flog von links nach rechts. Es herrschen Temperaturen wie in einer schwedischen Sauna unmittelbar nach dem Aufguss. Es roch nur nicht so gut.

Der Ausgang liegt nur noch wenige Meter vor mir. Noch zweimal um die Ecke biegen und der Tunnel war hoch genug, wieder vollständig aufrecht stehen zu können. Hier entfaltete sich die gesamte unterirdische Schönheit. Überwältigend. – Mitten auf dem Lavafeld kletterten wir ohne Verluste aus einem mit grünem Farn und Strauch verdeckten kleinen Loch aus dem Tunnel.

Cool wars.

Ort: Réunion
Wetter: 35 Grad und keine Wolke

„Kummschte nei, Herbert!“, kreischte es im pfälzer Dialekt aus dem voll besetzten Bus zur Eingangstür. Dort versucht sich Herbert mit 3.000 weiteren Fahrtgästen durch die schmale Tür zu quetschen. Herbert ist 1,50 groß und bringt ein Kampfgewicht von stolzen 120 kg auf die Waage. Er steckt mitten in der Tür.

Es herrscht Ausnahmezustand. Wer keine Ausbildung im Nahkampf hat oder auf Rücksicht und Höflichkeit besteht, ist deutlich im Nachteil. Hier gewinnen die Alphatierchen. Es gibt keine Gnade. Mittendrin statt nur dabei. 100% Vollkörperkontakt. Drängeln, schieben, schubsen, treten, kratzen, Ellenbogen kommen zum Einsatz und eine bunte Variation von Körpergerüchen. Es war wie beim Räumungsverkauf auf Deck 9 vor wenigen Tagen.

In Le Port stranden alle Passagiere, die sich kein von der Costa angebotenes Busticket nach St. Denis leisten wollen. Für 2 Euro bittet ein regionales Transportunternehmen die Hin- und Rückfahrt vom Hafen in vollklimatisierten Bussen an, verliert bedauerlicher Weise kein Wort darüber, dass hier die Endstation eines jeden Touristentraums sein wird. Der örtliche Ticketverkäufer, der sich mit immer den gleichen Fragen Unwissender und mit überhitzten Gemütern Gestrandeter auseinander setzen muss, ist hierher sicher strafversetzt worden. Oder geißelt sich selbst. – Le Port, ein Ort, so spannend wie eine Fußpilzbehandlung und so einladend wie ein Teewurstbrötchen unterm Weihnachtsbaum. Ein Ort, in dem man nicht tot über dem Zaun hängen möchte. Hier nehmen sich sogar Eintagsfliegen das Leben noch vor dem Sonnenuntergang.

Der von Le Port stündlich fahrende ebenfalls vollklimatisierte Bus nach St. Denis war entsprechend hoch nachgefragt und so kommt es unausweichlich zum Massentumult an der Haltestelle der Linie 04. Taxis waren nicht existent, ebenso wenig alternative Transportmöglichkeiten. Willkommen in Réunion, Willkommen in Europa.

Ort: St. Denis, Réunion
Wetter: 29 Grad

Im Bazar-Be waren in diesen Morgenstunden nur Touristen unterwegs. Hier gab es alles. Von riesigen lilafarbigen Rinderzungen, auf denen es sich ein Schwarm Fliegen zum ersten Frühstück gemütlich gemacht hat, ein Generationentreffen von Obstfliegen, die schwarze Bananen mit weißem Schimmelkleidchen als Partymeile auserkoren, Hühnerfüße, die hilflos ihre Krallen in die Höhe recken und nun nie wieder im Dreck scharren werden, Fische, die mit ihren glasigen Augen graue Wände anstarren, riesige Hummer, die ein vermutlich letztes Mal übereinander herkrabbeln, bis über Gewürze in allen Farben und Formen, kleine Kinder mit großen braunen Augen, die zwischen Holztischen mit Obst und Korbwaren mit ausgestrecktem Arm nach Geld und Geschenken fragen.

Die Dörfer sind gezeichnet von Armut und Langeweile. Kinder stehen an der Straße und winken den vorbeifahrenden Autos. Manchmal halten sie sich an den Fenstern fest und laufen lange mit. In einigen Dörfern rund um die Stand werden Steine geklopft. Frauen, Kinder, alte Männer. Sie hocken im Sand und zertrümmern große Steine in kleine. Die starken Jungen und Männer graben Sand aus einem See und kippen ihn in kleine Holzkähne. Stein- und Sandberge wohin man schaut. Mir begegnet ein riesiger LKW auf dem schmalen mit tiefen Schlag- und Wasserlöchern übersäten Weg. Er holt den Sand und die Steine.

Ort: Tamatave, Madagaskar
Wetter: alles zwischen Sonne und Kübelregen, aber heiß war es

Die Sonne scheint durch mein Fenster als wollte sie mir sagen „faules Stück, steh auf!“ Jahaaaaaaaaa. Gleiheich. Ein Blick zur Uhr: 5:31. Ist das dein ernst? Du schmeißt mich um 5:31 Uhr aus dem Bett? Noch mal umdrehen und einschlafen gelingt mir nicht. Ich bin wach, im Urlaub, um 5:31 Uhr. Was tun? Ich könnte über zum Stretching mit Dario gehen, nee, zu früh, das ist erst um 8. Ich könnte zahlreiche 150 m-Bahnen auf Deck 11 laufen. Hä? Wer hat das gesagt! Ich könnte darüber nachdenken, warum das maximale Volumen subterraner Agrarprodukte in reziproker Relation zur spirituellen Kapazität des Produzenten steht. Ich bin überfordert. Zu viel Auswahl an Dingen, die man tun könnte. Ich weiß. Heute ist ein Seetag und es ist vor 6. Eine perfekte Zeit um ein schattiges Plätzchen zu finden. Es gibt also keinen Grund zu Trödeln. Rein in die Klamotte und raus aufs Deck.

Nein, ich war nicht die Erste. Es gab weitere Schlafwandler und senil Bettflüchtige mit Handtüchern unter dem Arm, die sich noch den Schlaf aus den Augen reiben.
Mein Plätzchen, auf dem ich heute gern thronen und über die Welt herrschen wollte, war bereits mit einem schwarzen Rucksack markiert. Eine italienische Flagge hing am Reißverschluss. Es war niemand da. Nur das weite Meer, die Sonne, ich, der Rucksack und die heiß umkämpfte Liege unterm Sonnenschirmchen. Nach 15 Minuten Beobachtungszeit beschloss ich, weg mit dem Ding und rauf auf die Liege. Reservieren ist nicht und weit und breit ist niemand zu sehen, dem der Rucksack gehören könnte.

Hach, was für ein wunderbarer Morgen. Ich war im indischen Ozean unterwegs, es war kurz vor 6, die Sonne brutzelte Insekten auf das Holz, die Badelatschen nicht kommen sahen, es war eine himmlische Ruhe, der Schornstein rußte leise vor sich hin und der Italienschlüsselanhänger flatterte lautlos im Wind.

Durch winzig keine Augenschlitze beobachte ich, wie sich eine italienische Diva drei Liegen reserviert und sich häuslich einrichtet. Sie zerrte Tische und Stühle von einer Poolecke in die andere und drapierte ihre Errungenschaften nach Feng Shui. Es fehlte noch ein Vase mit Blumen auf dem bereits mit Magazinen ausgelegten Tisch und ein Bild von Sonnenblumen im Goldrahmen. Dann legte sie ihre Badetücher über die Liegen, stellte ihre Plateauschuhe davor und wart von nun an nicht mehr gesehen.

Und immer noch ist der Morgen so herrlich. 8:45 Uhr (wohl gemerkt fast drei Stunden später), ich höre in nicht unerheblicher Lautstärke die Neue Deutsche Welle und lasse mich von ihr sanft hinweggleiten. Beim goldenen Reiter mischte sich italienisches Rhabarbera in die Melodie. Hä? Was? – Blöd, mein italienisch beschränkt sich auf eine Eisbestellung, ich ich glaube nicht, dass mir der kleine, hüpfende Zwerg mit weißen Haaren auf dem Rücken Schoko und Vanille bringen wollte. Während er so vor sich hin schimpfte, schaute ich ihm dabei zu. Ich konnte zum Gespräch ja nichts produktives beitragen.

Ach, und immer noch ist der Morgen so herrlich.

Inzwischen füllte sich das Deck. Der Kampf ums Überleben am Pool nahm seinen Lauf. Wo steht die Sonne, wohin wird sie wandern, wann wirft der Schatten in welche Richtung. Neben mir hat sich ein alter Seebär platziert. Mit Basecap und einer dunkelblauen Badehose lag er bewegungslos auf seiner Liege im Halbschatten. Sabber läuft in einem keinen Rinnsal aus seinem linken Mundwinkel und tropft auf sein Handtuch. 2, 3 mal war ich der Versuchung nahe, seinen Puls zu fühlen.

Ach, was für ein wunderbarer Morgen.

Ort: Auf dem Weg nach Tamatave, Madagaskar
Wetter: heiß

Der 1. Januar 2017.

Ich hab in der Nacht etwas vollkommen Verrücktes geträumt. Da mein Alkoholkonsum in der Silvesternacht recht überschaubar war, vermute ich Nebenwirkungen meines Insektenschutzmittels Nobite. Ich schließe nicht aus, dass es sich hierbei auch um ein Nervengift handeln könnte das luzide Träume verursacht. Ich werde der Sache noch nachgehen und es von nun an als Notfallspray mit mir führen.

Mein Tagesausflug ging an die 3 schönsten Strände im Norden Madagaskars. Irgendwie sind hier alle Stände schön, aber wenn es der Reiseführer sagt, dann muss man das eben gesehen haben.

Der Taxifahrer sprach kein Englisch und sonst wollte er auch so gar nicht reden. Nicht mal husten. Meine Französischkenntnisse beschränken sich bedauerlicher Weise auf eine Liebesbekundung und 3 weitere Worte. Und ich wollte reden, aber er verstand ja nichts. Langes Schweigen und viel Nervengift lagen in der klimatisierten Luft seines Wagens.

Die Wege waren abenteuerlich, mein Vertrauen in den Fahrer dennoch ungebrochen. Über ein mögliches Verscharren in der Wildnis hatte ich mal kurzzeitig nachgedacht. Mir war aber klar, dass wir uns selbst in dieser schwierigen Situation nicht hätten anständig verständigen können. Daher war alles vollkommen unter Kontrolle.

Der Reiseführer hatte Recht. Es war keine Untertreibung, die Strände waren traumhaft schön. Die Buchten unberührt. Im Wasser spiegelten sich noch mehr Blautöne als ich es auf den Seychellen gesehen hatte und der Sand war noch weißer als die Haut von Schneewittchen. Mehr Kitsch an einem Ort schafft nicht einmal Rudis Resterampe. Ich war tatsächlich sprachlos und schaute einfach nur Landschaft.

Zurück aus der Natur, rein in die Stadt. Kontrastprogramm.
Alte, verfallene französische Kolonialhäuser säumen die Hauptstraße. Der Blick in die seitlichen Nebenstraßen verriet noch weniger Schönes. Gelbe Tuk Tuks waren unterwegs. Es gab kleine Restaurants und Shops. Die meisten hatten geschlossen. Ein Hund lief mir minutenlang hinterher.

Am Nachmittag war die ganze Stadt auf den Beinen. Kleine Mädchen in rosa Tüllkleidchen, Teenager in Hotpants und coolen Sonnenbrillen, Kinder in bunten T-Shirts, Frauen in ihren schönsten Kleidern, Männer stylisch von ihren Frauen angezogen. Alle versammelten sich auf einer kleinen Anhöhe gegenüber unserem Schiff. Nur wenige hundert Meter entfernt war dort oben Volksfeststimmung. Der ganze Ort auf dem Hügel, guckte sich Touristen an (die definitiv schlechter gekleidet waren) und schaute auf das große, weiße Schiff. Kleine Musikgruppen tanzen im Hafen und Kinder spielen am Wasser. Als das Horn ertönte und wir den Hafen verließen, winkte und jubelte die ganze Stadt.- So lebendig, farbenfroh und musikalisch heiter untermalt sich dieses Bild auch darbot, es hatte ein sehr trauriges Grundrauschen.

Ort: Antsiranana und die schönsten Strände im Norden Madagaskars
Wetter: ein Träumchen

Es riecht nach billigem Parfüm und schlechtem Aftershave. Diese hohe Konzentration an Pestiziden und klinisch nicht getesteten Schwebeteilchen würde in Flugzeugen Sauerstoffmasken aus den Fächern fallen lassen und Passagiere in Quarantäne stecken. Bei offenem Feuer sind wir ein Silvesterknaller, den sicher auch die Sojus nicht unbeeindruckt ließe.

Gäste und Crew haben sich in die auffälligsten Fummel geworfen. Es glitzert und funkelt an jeder Körperstelle. Lustigbunte Partyhütchen verbessern die oft sehr waghalsig gewählten Kleider nicht zwangsläufig. Kleine Prinzessinnen hüpfen durch die Gänge, Mutti kommt mit den Plateauhighheels nicht hinterher, Papa interessiert sich für noch waghalsigere Kleider.

Während sich auf Deck 8 die ältere Generation zu „River of Babylon“ im Rhythmus wiegt, herrscht auf Deck 9 ungebändigte Partystimmung. Hier befindet sich das Epizentrum der Schiffsbewegung. Es werden Konfettikanonen gezündet und ungebremst mit Papierschlangen um sich geworfen. Alle Rauchmelder sind im Alarmzustand und feiern hektisch blinkend mit. Man kann fast nichts mehr sehen. Ich überlege mir meine Schwimmweste für den Ernstfall schon einmal umzulegen und mich am Sammelpunkt einzufinden. Aber selbst die Schiffssirene würde gegen den trommelfellzerstörenden Italo-Pop wie das weinerliche Klagen einer gestrandeten Rotbarbe klingen.

Die Crew und ihre Familien feiern mit. Der kleine dicke Junge führt stolz den Kapitän an der Hand seinen Freunden vor. Der Kapitän ist auch klein und dick. Die Familiengene sind sehr stark ausgeprägt. Vermutlich kann der 5jährige auch schon fehlerfrei durchs Meer navigieren und das Schiff in einem Zug im Hafen von Antsiranana einparken.

Das vor sich hinleidende Gitarren-Duo in der Tango-Bar spielt nur für sich allein. Und dem Barkeeper. Da machen die Chipmunks-wo sind die eigentlich?- definitiv mehr Party mit ner Gitarre unterm Arm. Die Chance auf bessere Stimmung ist auch nach dem dritten Lied nicht gestiegen. Ich verlasse den ruhigsten Ort des Schiffes und mische mich nur eine Tür weiter in die Italo-Pop-Szene, wo der Champagner fließt und die russischen Damen in weißen, auf den Körper geschweißten Spitzenkleider zeigen, was sie an der Stange gelernt haben. Hier wird gefeiert bis zum Untergang und das Bordkonto raucht.

Die drei Sekunden bis Mitternacht sind schnell gezählt. Guten Morgen 2017 irgendwo vor der Küste Madagaskars.

Ort: Irgendwo im indischen Ozean auf dem Weg nach Antsiranana, Madagaskar
Wetter: großartige 29 Grad und wolkenlos

Zum Frühstück gab es für meine Haut das vom Tropeninstitut empfohlene Nobite. Eingeschmiert auf dem gesamten Körper soll es sämtliches Kleingetier die Lust auf eine üppige Mahlzeit vermiesen. Ich verlasse mich auf die klinisch getestete Aussage und dusche in der halben Flasche des toxisch unbedenklichen Sprühnebels. Fazit: Es macht Terror in Hals und Nase, weicht den guten Essie-Nagellack auf und bringt nicht nur Tiere zum Weinen. Metall entrostet es ganz sicher in sekundenschnelle und Gummi löst sich vermutlich in eine klebrige Masse auf. Egal, ich leide lieber an den Spätfolgen als auf dem Speiseplan der Stechmücken und Sandflöhe zu stehen.

Vom Schiff ging es direkt in ein winziges Boot. 8 Leute hatten Platz und der Kapitän. Schwimmwesten waren Pflicht. Dann ging es raus aufs Meer, 40 Minuten bis zur Insel Komba. Ein Juwel im Indischen Ozean, so beschrieben im Ausflugsprogramm. Zu sehen gab es viele Costa-Gäste, eigentlich alle vom Schiff incl. der gesamten Crew, und einen Leuchtturm. Und Lemuren, lustige kleine Äffchen mit weißem strubbligen Haar, die unbeeindruckt in den Bäumen saßen. Und weißer Sand mit sagenhaft blauem Meer. Kein Luftzug und Sonne ohne Wolken. Der Sand war brüllend heiß und ich hoffe, das sich auch Sandflöhe ihre kleinen Füßchen darin verbrennen.

Tanikely war größer. Hier gibt es ein Dorf. Und viele Menschen die darauf warteten, Geld geschenkt zu bekommen. Es gab Selbstgebasteltes zu kaufen. Von Tischdenken über Hüte, Taschen, T-Shirts, gemalte Bilder bis zu Kühlschrankmagnete war alles dabei. Der Strand war vermüllt. Wäsche gewaschen und geduscht wurde an einem Brunnen vor einem Restaurant. Es gab kleine Feuerstellen vor den schlecht zusammengezimmerten Wellblechhütten. In den Töpfen schwamm Fett mit nicht klar definierbarem Kochgut. Die Menschen waren sehr freundlich, Mädchen haben ihre Gesichter mit weißen Mustern bemalt. Fische werden auf Felsen in der Sonne getrocknet, neben gewaschener Kleidung. Kleine Kinder spielten am Strand und im Wasser zwischen Blechdosen und Glasscherben. Auf kleinen Holztischen wird Obst und Gemüse angeboten und frische Vanille. Es gab einen Hauptweg und viele verwinkelte Pfade zu kleinen, erbärmlich aussehenden Hütten. Das ganze Leben spielt sich hier auf den Wegen ab.

Von einem Inselbewohner geführt ging es dann in einen kleinen Naturpark. Hier gab es Feuchtnasenprimaten, Chamäleons, Schildkröten, Geckos und sonstige Kriechtiere. Alles was hier lebt wird mit Bananen vom Baum gelockt. Solange, bis jeder Affe einmal auf der Schulter eines jeden Touristen gesessen hat. Beobachtet hab ich das ganze Ausmaß der Tiershow aus sicherer Entfernung unter einem Baum. Sicher ist relativ, habe ich gelernt. Aus voller Dankbarkeit hat mich ein schwarzer Lemure von oben angepinkelt. Ich konnte reaktionsschnell zur Seite hüpfen und so traf es nur die Tasche. Wenn das Dankbarkeit ist gehe ich jetzt sofort seine Familie quälen.

Im schönsten Restaurant des Dorfes mit unfassbar atemberaubendem Ausblick wurde Mittagessen serviert. Aromatischer Reis, Fisch, Gemüse, Kartoffeln und Fleisch am Spießchen. Gegessen wurde auf umweltfreundlichen Plastiktellern und mit Plastikbesteck. Meine zarte Gabel hielt dem Aufspießen der Kartoffel bedauerlicher Weise nicht Stand und so habe ich einmal mehr Plastikmüll hinterlassen.

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Einheimische Männer und Kinder in ihren selbstgeschnitzten kleinen Holzbooten lassen sich um das Schiff herum treiben. Seit morgens versuchen sie alles zu verkaufen, was sie haben. Schauen Dich mit ihren großen Augen an und hoffen, dass du ihnen etwas schenkst. Das zu sehen ist schwer zu ertragen. Ich gehe heute schlafen mit den Gefühl dankbar zu sein. Dankbar für das was ich habe, wovon ich träume und für meine Sorgen und Probleme, die vergleichbar geringfügig zu sein scheinen.

Orte: Nosy-Be, Komba, Tanikely auf Madagaskar
Wetter: heute 30 Grad und windstill

Schattige Plätzchen stehen hier hoch im Kurs wie Trockenpflaumen bei Verdauungsstörungen.

Hat man sich gegen 6 Uhr morgens schon mal eine Liege unter einem der homöopathisch vorhandenen Sonnenschirmchen ergattert, ist man ganz weit vorn. Spätestens um 7 Uhr ist dieses gegen eine mit lupenreinen Diamanten besetzte Rolex oder ein Villa mit Meerblick auf Mauritius eingetauscht. Vielleicht gibt es inzwischen auch schon bargeldlose Zahlungen von Bordkonto zu Bordkonto. Man weiss es nicht.

Wer sein Plätzchen nicht meistbringend veräußert, thront man dort bis die Sterne im Nachthimmel funkeln. Zum verrecken gibt keiner diese Liege auf, auch wenn er den ganzen Tag damit verbringt, sich durch das Buffet zu grasen, in Conrados einstündiger Bastelstunde lernt, wie man mit einfachen Hausmitteln Silvesterknaller herstellt, anschließen dem Gottesdienst bei Don Petro beiwohnt, mit der Latin Dance Group alle lateinamerikanischen Tänze lernt, beim Zumbakurs von Edmundo Nahtoderfahrungen macht und vor dem Abendessen noch mal ne Runde Mega-Bingo spielt. Diese Liege im Schatten gehört mir! Ganz allein mir!

Heute ist ein Seetag. Das bunte Bordprogramm fährt alles auf, was den betagten Kreuzfahrer vom Hocker reißt. Es gibt Gesundheitsworkshops mit spannenden Themen wie „Braucht meine Wanderniere ist Visum für Madagaskar?“ oder „Kann man sich aus Nierensteinen ein Alterswohnsitz bauen“. Beauty wird auch ganz groß geschrieben. Unter fachmännischer Anleitung von langjährig ausgebildeten Experten wird hier dem Beautyunerfahrenen hautnah erläutert, wie man sein Gesicht korrekt eincremt. Linkskreisend, rechtskreisend, einfach tupfen und wenn ja mit welchem Finger. Nein, nein, durch das schwierige Thema muss sich niemand allein durchquälen, es gibt Hilfestellung für eine korrekte Händeführung und ein Diplom bei Durchhalten bis zum Workshopende. Der fortgeschrittene Kreuzfahrer, der das ganze Programm schon mehrfach durchlaufen hat, geht shoppen. Es gibt Markenuhren aus dem Hause Ismnüff oder einen Platinring besetzt mit echten Diamanten für 34,99 €. Heute war Super-Flash-Sale. Nur von 10 – 11 Uhr. Das Sonnendeck war leer gefegt. Das Schiff bekam Schlagseite. Am Buffet blieben nur noch die Hartgesottenen hängen. Lahme konnten wieder laufen und Blinde sehen. Ja, selbst der Alzheimerpatient entdeckt minütlich immer wieder neue schöne Sachen.

Moment, was heißt hier schwierige Wetterverhältnisse und man solle sich doch am Geländer festhalten. Ich habe gerade zu Mittag gegessen und wollte mich nun ein wenig auf dem Deck tummeln und mich vom Freddy Mercury unter den Animateuren unterhalten lassen. – Oh, die Liegen werden gerade eingesammelt. Ein sicheres Signal dafür, dass einem zeitnah alles um die Ohren fliegen wird. Ich versuch es erst einmal mit gesunder Ignoranz und später vermutlich mit einer überdosierten Mischung aus Reisetabletten, Notfalltropfen, Ingwerdragees, Reisekaugummis und einer großen Portion Hoffnung.

Zwischenzeitlich nutze ich die derzeitig hervorragende Wetterlage und schau mich mal am Pool so um. Hier findet sich eine ausgesprochen gute Mischung aus Bulimie-Teenagern, operativ nachgeholfenen Beautyqueens, nicht altern wollenden Diven, antiautoritär erzogenen kleinen Biestern, dicken Männern mit ungepflegten Füßen, den italienischen Gigolo, immer zum Flirten auf dem Sprung, ein paar ständig meckernde Deutsche (es ist zu warm, es ist zu kalt, warum spricht hier keiner deutsch), ein Jogger in viel zu engen Shorts und gelben Turnschuhen, der beim Drehen seiner 150 m-Runden jedesmal meine Liege zum Beben bringt – ICH HASSE IHN! -, der Kegelclub aus Castrop-Rauxel, der unüberhörbar Karten spielt, eine billige Rihanna-Kopie und ein noch schlechteres Ricky Martin-Double. Putin ist übrigens auch an Board. Ich hätte ihm gestern -nach seiner Vollbremsung mitten im Weg- fast meine gesamte Beute vom Kuchenbuffet in den Nacken gekippt. – Die Barkeeper tragen immer noch diese roten Weihnachtsmützen mit weißen Bommeln. Vermutlich haben sie sich schon in die Kopfhaut eingebrannt. Ich frage mich, ob ich das Servicepersonal jemals erkennen werde, wenn sie diese Mützen nicht mehr tragen müssen.

Aber zurück zum Pool. Es sollte Männern verboten sein, Badehöschen zu tragen, die kaum mehr Stoff haben als das Einstecktuch in ihrem Weihnachtsjacket. Man mag gar nicht hingucken, doch der Blick bleibt kleben an jeden einzelnen Quadratmillimeter des neongelb leuchtenden Desasters. Gibt es denn hier niemanden, der den Kerl über Board schupsen möchte? Und wie ist es möglich, dass man die körperlichen Vorzüge von Bud Spencer oder Israel Kaʻanoʻi Kamakawiwoʻole so selbstbewußt ins Sonnenlicht hält?

Eine Dame, die die kühle Grasnarbe sicher auch schon riechen kann, hält da ganz gut mit. Ihr Bikini aus der Kinderabteilung mit 3 Reihen Rüschen am Po und einem zarten Oberteil, dass nicht mal Barbie passen würde, ist ein klarer Beweis für Altersweitsichtigkeit und Nahbrille nicht aufsetzen wollen. Freunde scheint sie nicht zu haben, sonst hätten sie sie sicher ganz schnell in ein Costa-Badetuch eingewickelt.

Ja, die Welt ist so schön bunt und gäbe es diese exzentrischen Selbstdarsteller nicht, hätte ich jetzt vermutlich eine mehrbändige Abhandlung über die ökonomische Entwicklung der Seychellen nach der Jahrhundertwende geschrieben.

Ort: irgendwo zwischen den Seychellen und Madagaskar
Wetter: sanfte 29 Grad

Das ist wohl im Allgemeinen eine Frage, die sich die gesamte Menschheit stellt. Heute stand ich vor der Herausforderung zwei meiner offensichtlich verschiedenen Leben zu offenbaren.

Zugegeben, ich höre Stimmen. Sie erzählen mir lustige Geschichten vom ganz normalen Wahnsinn, ich lausche ihnen ein wenig und dann lachen wir zusammen. Bis heute wußte ich allerdings nicht, dass sie offensichtlich auch zu Personen gehören. – Übrigens 9 von 10 Stimmen sagen ich sei irre. Eine summt. Ich glaube aber, das ist mein Tinnitus. Oder ein Chipmunk.

Die russische Fotografin:
Der Skipper, der mich von Mahé nach Moyenne Island shipperte, war der festen Überzeugung ich sei eine russische Fotografin. Er schwor auf die heilige Miesmuschel, dass wir uns sogar kennen würden. Nun, ich kenne weder die heilige Miesmuschel noch den Skipper, was ich aber während der 40minütigen etwas holprigen Überfahrt tatsächlich tat war, die Zahlen von 1 bis 100 in meinem Kopf auf Russisch hoch- und runter zu zählen. Dabei hatte ich weniger die Absicht, meine längst ausgelagerten Sprachkenntnisse zu defragmentieren, sondern mich vielmehr mit etwas sehr Abstrakten von der rasanten Berg- und Talfahrt abzulenken. Ich hätte auch über die Relativitätstheorie nachdenken können oder über die Entstehung von schwarzen Löchern und deren kausalen Zusammenhang mit der Kariesquote bei Vorschulkindern sinnen können, und vermutlich hätte ich auch das Zählen in Kisuaheli oder auf Norwegisch hinbekommen, aber die russische Sprache schien mir in diesem Augenblick doch am vertrautesten. – Schon komisch.

Die Undercover Agentin:
Die F&B-Managerin des Schiffs stand mit mir im Fahrstuhl zum Deck 10. Ich war auf dem Weg zum Abendessen, sie nicht. -In Fahrstühlen herrscht immer eine merkwürdige Situation. Alle starren auf den Boden und schweigen. Aber egal.- Sie sprach mich an und sagte, sie wäre etwas verwirrt (diesen Zustand kenne ich durchaus), denn ich würde aussehen wie eine wichtige Person aus dem Costa-Management. Es ging unter der Crew die Frage rum, ist sie es, oder ist sie es nicht. Aha, das würde die hektischen Blicke erklären, die mir beim Boarding in Port Louis etwas bedenklich vorkamen. -Sehr lustig.

Das heißt, offensichtlich gibt es da draußen noch mehr von mir. Und ich bin der Meinung, wir sollten uns dringend einmal kennenlernen und für ne Woche die Identitäten tauschen.