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All posts for the day Dezember 31st, 2016

Es riecht nach billigem Parfüm und schlechtem Aftershave. Diese hohe Konzentration an Pestiziden und klinisch nicht getesteten Schwebeteilchen würde in Flugzeugen Sauerstoffmasken aus den Fächern fallen lassen und Passagiere in Quarantäne stecken. Bei offenem Feuer sind wir ein Silvesterknaller, den sicher auch die Sojus nicht unbeeindruckt ließe.

Gäste und Crew haben sich in die auffälligsten Fummel geworfen. Es glitzert und funkelt an jeder Körperstelle. Lustigbunte Partyhütchen verbessern die oft sehr waghalsig gewählten Kleider nicht zwangsläufig. Kleine Prinzessinnen hüpfen durch die Gänge, Mutti kommt mit den Plateauhighheels nicht hinterher, Papa interessiert sich für noch waghalsigere Kleider.

Während sich auf Deck 8 die ältere Generation zu „River of Babylon“ im Rhythmus wiegt, herrscht auf Deck 9 ungebändigte Partystimmung. Hier befindet sich das Epizentrum der Schiffsbewegung. Es werden Konfettikanonen gezündet und ungebremst mit Papierschlangen um sich geworfen. Alle Rauchmelder sind im Alarmzustand und feiern hektisch blinkend mit. Man kann fast nichts mehr sehen. Ich überlege mir meine Schwimmweste für den Ernstfall schon einmal umzulegen und mich am Sammelpunkt einzufinden. Aber selbst die Schiffssirene würde gegen den trommelfellzerstörenden Italo-Pop wie das weinerliche Klagen einer gestrandeten Rotbarbe klingen.

Die Crew und ihre Familien feiern mit. Der kleine dicke Junge führt stolz den Kapitän an der Hand seinen Freunden vor. Der Kapitän ist auch klein und dick. Die Familiengene sind sehr stark ausgeprägt. Vermutlich kann der 5jährige auch schon fehlerfrei durchs Meer navigieren und das Schiff in einem Zug im Hafen von Antsiranana einparken.

Das vor sich hinleidende Gitarren-Duo in der Tango-Bar spielt nur für sich allein. Und dem Barkeeper. Da machen die Chipmunks-wo sind die eigentlich?- definitiv mehr Party mit ner Gitarre unterm Arm. Die Chance auf bessere Stimmung ist auch nach dem dritten Lied nicht gestiegen. Ich verlasse den ruhigsten Ort des Schiffes und mische mich nur eine Tür weiter in die Italo-Pop-Szene, wo der Champagner fließt und die russischen Damen in weißen, auf den Körper geschweißten Spitzenkleider zeigen, was sie an der Stange gelernt haben. Hier wird gefeiert bis zum Untergang und das Bordkonto raucht.

Die drei Sekunden bis Mitternacht sind schnell gezählt. Guten Morgen 2017 irgendwo vor der Küste Madagaskars.

Ort: Irgendwo im indischen Ozean auf dem Weg nach Antsiranana, Madagaskar
Wetter: großartige 29 Grad und wolkenlos

Zum Frühstück gab es für meine Haut das vom Tropeninstitut empfohlene Nobite. Eingeschmiert auf dem gesamten Körper soll es sämtliches Kleingetier die Lust auf eine üppige Mahlzeit vermiesen. Ich verlasse mich auf die klinisch getestete Aussage und dusche in der halben Flasche des toxisch unbedenklichen Sprühnebels. Fazit: Es macht Terror in Hals und Nase, weicht den guten Essie-Nagellack auf und bringt nicht nur Tiere zum Weinen. Metall entrostet es ganz sicher in sekundenschnelle und Gummi löst sich vermutlich in eine klebrige Masse auf. Egal, ich leide lieber an den Spätfolgen als auf dem Speiseplan der Stechmücken und Sandflöhe zu stehen.

Vom Schiff ging es direkt in ein winziges Boot. 8 Leute hatten Platz und der Kapitän. Schwimmwesten waren Pflicht. Dann ging es raus aufs Meer, 40 Minuten bis zur Insel Komba. Ein Juwel im Indischen Ozean, so beschrieben im Ausflugsprogramm. Zu sehen gab es viele Costa-Gäste, eigentlich alle vom Schiff incl. der gesamten Crew, und einen Leuchtturm. Und Lemuren, lustige kleine Äffchen mit weißem strubbligen Haar, die unbeeindruckt in den Bäumen saßen. Und weißer Sand mit sagenhaft blauem Meer. Kein Luftzug und Sonne ohne Wolken. Der Sand war brüllend heiß und ich hoffe, das sich auch Sandflöhe ihre kleinen Füßchen darin verbrennen.

Tanikely war größer. Hier gibt es ein Dorf. Und viele Menschen die darauf warteten, Geld geschenkt zu bekommen. Es gab Selbstgebasteltes zu kaufen. Von Tischdenken über Hüte, Taschen, T-Shirts, gemalte Bilder bis zu Kühlschrankmagnete war alles dabei. Der Strand war vermüllt. Wäsche gewaschen und geduscht wurde an einem Brunnen vor einem Restaurant. Es gab kleine Feuerstellen vor den schlecht zusammengezimmerten Wellblechhütten. In den Töpfen schwamm Fett mit nicht klar definierbarem Kochgut. Die Menschen waren sehr freundlich, Mädchen haben ihre Gesichter mit weißen Mustern bemalt. Fische werden auf Felsen in der Sonne getrocknet, neben gewaschener Kleidung. Kleine Kinder spielten am Strand und im Wasser zwischen Blechdosen und Glasscherben. Auf kleinen Holztischen wird Obst und Gemüse angeboten und frische Vanille. Es gab einen Hauptweg und viele verwinkelte Pfade zu kleinen, erbärmlich aussehenden Hütten. Das ganze Leben spielt sich hier auf den Wegen ab.

Von einem Inselbewohner geführt ging es dann in einen kleinen Naturpark. Hier gab es Feuchtnasenprimaten, Chamäleons, Schildkröten, Geckos und sonstige Kriechtiere. Alles was hier lebt wird mit Bananen vom Baum gelockt. Solange, bis jeder Affe einmal auf der Schulter eines jeden Touristen gesessen hat. Beobachtet hab ich das ganze Ausmaß der Tiershow aus sicherer Entfernung unter einem Baum. Sicher ist relativ, habe ich gelernt. Aus voller Dankbarkeit hat mich ein schwarzer Lemure von oben angepinkelt. Ich konnte reaktionsschnell zur Seite hüpfen und so traf es nur die Tasche. Wenn das Dankbarkeit ist gehe ich jetzt sofort seine Familie quälen.

Im schönsten Restaurant des Dorfes mit unfassbar atemberaubendem Ausblick wurde Mittagessen serviert. Aromatischer Reis, Fisch, Gemüse, Kartoffeln und Fleisch am Spießchen. Gegessen wurde auf umweltfreundlichen Plastiktellern und mit Plastikbesteck. Meine zarte Gabel hielt dem Aufspießen der Kartoffel bedauerlicher Weise nicht Stand und so habe ich einmal mehr Plastikmüll hinterlassen.

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Einheimische Männer und Kinder in ihren selbstgeschnitzten kleinen Holzbooten lassen sich um das Schiff herum treiben. Seit morgens versuchen sie alles zu verkaufen, was sie haben. Schauen Dich mit ihren großen Augen an und hoffen, dass du ihnen etwas schenkst. Das zu sehen ist schwer zu ertragen. Ich gehe heute schlafen mit den Gefühl dankbar zu sein. Dankbar für das was ich habe, wovon ich träume und für meine Sorgen und Probleme, die vergleichbar geringfügig zu sein scheinen.

Orte: Nosy-Be, Komba, Tanikely auf Madagaskar
Wetter: heute 30 Grad und windstill