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All posts for the day Dezember 27th, 2016

Heute Abend wird die weiße Nacht gefeiert. Ich habe beschlossen in schwarz diese elustere Tanzveranstaltung zu besuchen. Ich bin gern für ein wenig farbliche Abwechslung. Zudem verschwindet man derartig gekleidet schnell in den dunklen Ecken der Lounges und kann unbemerkt beobachten.

Ich stelle fest, dass definitiv nicht jedem die Farbe Weiß steht. Ein junges Mädchen, etwa 10 Jahre alt, mit dem Kampfgewicht eines ausgewachsenen Babyelefanten, hätte besser die letzten Cremetörtchen auf dem Teller gelassen. Auch die Samtschleife und die zahlreichen schwarzen Punkte auf dem weißen Puffärmelkleidchen täuschten nicht über ihre unvorteilhaft betonten Problemzonen hinweg.

Das ältere Pärchen am Nachbartisch wäre auch mit weniger Weiß gut bedient gewesen. Ihr Kleid war durchsichtig und hatte den Stoff eines feinmaschigen Moskitonetzes. Drunter trug sie eine Art Bandage, die offensichtlich ihr antrainiertes Körperfett beisammenhalten sollte. Aber manchmal ist man eben auch gegen Naturgewalten machtlos. Ich bemerke dazu, Stil ist definitiv nicht nur das Ende eines Besens.

Seine Hose ist viel zu klein und das Jacket viel zu groß. Die goldenen Knöpfe stammen sicher aus dem Nähkästchen von Frankensteins Mutter und hätten mal wieder aufpoliert werden können. Dafür hat er aber schöne Zähne. So schön wie Sterne. Gelb und weit auseinander. Und seine weißen Lackschuhe beeindrucken mich ein wenig.

Oh nein, das Animationsprogramm mit Lemmingtanz geht los. Ich muss weg.

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Nachdem die Chipmunks offensichtlich in Victoria ausgewildert wurden, läuft nun in Dauerschleife der George Michael Last Christmas-Gedächtnissong. Es ist unmöglich, sich den hell klingenden Glöckchen zu entziehen. Überall warten sie auf einen. Selbst im Fahrstuhl ist man nicht mehr vor ihnen sicher. Nach der fünften Runde „I gave you my heart but the very next day schalali und schalala“ wünsche ich mir die knuffigen Chipmunks zurück.

Unter linguistischem Aspekt betrachtet war Guy ein Sprachgenie. Es sprach 8 Sprachen und die alle gleichzeitig und zusammen. Manchmal auch in einem Wort. Er feiert in 3 Tagen seinen 64. Geburtstag und zeigt sich optisch in seinen besten 50ern. Ich glaube, Guy weiß auch um die Magie der feuchtigkeitsspendenden Tuch-Maske von Garnier.

Guy war mein Guide für den heute so regengrauen Tag. Er stand in seinem weißen Leinenhemd, seinen beigefarbenen Gummisandaletten, die an den Seiten Löcher hatten, um das Wasser aus dem Schuh zu quetschen, einen schwarzen Regenschirm und seinem bunt bebildertem Tourenboard vor dem Schiff. Mein Ziel: Ich möchte dahin, wo die Sonne scheint.

Ein professioneller Blick in den Himmel, eine ausführliche Expertenerklärung zu Cumulus, Cumulonimbus, Stratus, Altostratus und Nimbostratus und schon war klar, wir fuhren Richtung Süden und Westen. Dort, wo der böse Nimbostratus mit seinen Freunden nicht hinkommt.

Guy sprach nicht nur unzählige Sprachen, er ist auch Immobilienmakler, Pilot, Kapitän, Wasserskilehrer, Guide und Inhaber eines Reisebüros. Ich glaube, seine anderen Jobs hat er mir verschwiegen. Ich wäre auch irgendwann misstrauisch geworden. Seine kleinen Geschichten jedenfalls -sofern ich verstanden habe, was er mir sagen wollte- deuten auf ein ungewöhnlich abwechslungsreiches Leben oder auf eine äußerst beunruhigende Phantasie. Er ist übrigens auch Inhaber eines Inselrekords. Mit 60 Jahren ist er zum sechsten Mal Vater geworden. Das hat hier wohl bisher keiner geschafft.

Und tatsächlich, hier im Süden und Westen haben sich nur Cirrus und Cirrostratus verirrt. Das Meer ist blau wie Schlumpfeis und die weißen Strände sind lang und schön wie in der Rafaellowerbung. Ich sah bunte Fischerbote, die bei Ebbe im Wasser auf der Seite lagen. Riesige Granitfelsen von denen Waghalsige in die Tiefe sprangen. Ich habe Riesenschildkröten gefüttert und an Zimtbäumen geknabbert, berühmte Künstler der Insel kennengelernt und stand zum Ende der Inseltour auf der Bergspitze mitten im Stratus*. Das war alles sehr beeindruckend.

*Eine dunkle, durchgehend graue Wolkenschicht mit ziemlich einförmiger Untergrenze, aus der Sprühregen bis verdammt viel Regen fällt.

Orte: von Victoria an der Küste entlang in den Süden, Südwesten, Westen und quer über den Berg zurück nach Victoria
Wetter: je nachdem wo man auf der Insel war – von hellrosa bis kackebraun