Archives

All posts for the day Dezember 26th, 2016

Wenn dein Kabinensteward „Good night, Madame.“ sagt, weißt du, dass du nicht mehr zu den Mittdreißigern gehörst, die bis zum Morgengrauen in der Karaokebar „Best of Lady Gaga“ hoch und runter feiern. Ja, ich gebe offen zu, diese Erkenntnis hat mich ein wenig aus meinem derzeitigen seelischen Gleichgewicht geschoben.

Also – es gab 2 Möglichkeiten mit dieser Aussage erwachsen umzugehen:

Ich besuche jetzt das Videokonzert von Andre Rieu auf Deck 8, genieße den russischen Säbeltanz, wiege mich seicht in den virtuosen Klängen seiner unbezahlbaren Stradivari und fühle mich als Jüngste im Kreise der Weisen und Propheten. Ja, unter Blinden ist der einäugige König.

Oder ich buche sofort das komplette Beautyprogramm von links oben nacht rechts unten, das ganze dann noch einmal zurück und werde mich, wenn erforderlich, bis zum Frühstück an die Behandlungsliege ketten. Anschließend müssen mich die Beautyladies mit „Eure Hoheit“ anreden.

Oh, es gab noch eine dritte Möglichkeit: Ich haue dem Kabinensteward eine rein.

Option 3 habe ich verworfen. Dafür verwüste ich ab morgen jeden Tag meine Kabine, damit er mal richtig was zu tun bekommt. Da haben wir beide richtig Spaß.
Bei Option 1 war ich Nahe an der Versuchung, konnte aber mein seriösen Blick nicht finden.
Bleibt also Möglichkeit 2. Und mit ein wenig Realismus beleuchtet, blieb von meiner Idee lediglich eine intensive Tuch-Gesichtsmaske von Garnier übrig. Propylene Glycerol, Alkohol, Phenoxyethanol, Potassium Hydroxide, Sorbic Acid, Xantan Gum und noch sehr viel mehr vertrauenserweckende Inhaltsstoffe sollen es nun richten. 15 Minuten einwirken lassen, wird empfohlen. Blödsinn, das bleibt die ganze Nacht lang drauf. Auch wenn ich morgen früh so jung aussehen werde, dass ich nicht ohne Begleitung eines Erwachsenen reisen dürfte, meine Kabine verwüste ich trotzdem.

Dicke graue Wolken die in den Bergen festhingen, ließen meine gelernte Bilderbuchvorstellung von Sonne, endlos weißen Stränden, türkisfarbenem Meer und grünen Palmen wie ein überfahrenes Kaninchen auf der Schnellstraße langsam dahinsterben. Ja, es war dunkel im Paradies. Daran konnte auch die musikalische Dauerbespielung der ortsansässigen Musik- und Tanzgruppe nichts ändern, die sich mit Leib und Seele einer perfekten Inszenierung hingab.

Nunja, nun bin ich ja schon mal hier, in Victoria, der kleinsten Hauptstadt der Welt. Ziehen wir uns die rosa Brille auf und ab in die Stadt, die heute Feiertag hat. Es ist leer hier. Keiner zu sehen. Alle Türen zu. Dagegen ist ein Friedhof eine Partymeile.

Ich habe den Hindutempel gefunden. Schön bunt. Von außen und von innen. Und drinnen blieb ich lange, seeeehr laaaange, denn von den übertrieben großen Regentropfen wäre ich vermutlich nicht unverletzt geblieben. Ein barfüßiger, alter, dickbäuchiger Mann mit nacktem Oberkörper und bemalter Haut bot mir eine Schale Reis an und ich vermute, gleich noch einen Religionswechsel mit dazu.

Der nächste Punkt auf meinem Stadtrundgang war der Botanische Garten. Herje, da verspricht das Wort auch mehr als es halten kann. Die Wegbeschreibung durch den Park war abenteuerlich und der Plan dazu wurde von malenden Elefanten entworfen. Oder entstand in einer Blindenwerkstatt. Ich hab mich an Palmen und Tümpeln und Flughunden und sonstigem Grünzeug zu den Riesenschildkröten vorgearbeitet. Die sehen schon komisch aus und bewegen sich noch unterhalb einer messbaren Geschwindigkeit. Lustige Tierchen, wie sie da so rumliegen und gelangweilt in die Gegend schauen.

So, und wo sind nun die weißen Strände und die traumhafte Welt der Seychellen? Ein Taxifahrer mußte her. – Nachdem ich mir den Ausweis und den Führerschein zeigen lassen habe, bin ich eingestiegen in das Piratentaxi, ein nicht offizielles Taxi quasi. Ich hab zunächst von meiner Kampfsportausbildung gesprochen und meiner nicht zögerlichen Art, jemanden zu Boden zu strecken. Nur damit er schon mal weiss, mit wem er es zu tun hat. – Das Auto hielt nur noch der Keilriemen und eine Schicht Rost zusammen. Ansonsten fehlte es an den für ein Fahrzeug markanten und nicht unnötigen Einbauten und Instrumenten. Aber hey, Mut zur Lücke und wer kann einem Touristen seine Insel besser zeigen als ein einheimischer Taxifahrer. – Ja, ich habe sie gesehen, die weißen Strände mit großen Felsen und türkisfarbenen Wasser. Es gibt sie doch.

Ort: Victoria, Seychellen
Gelaufene Strecke: 21,4 km
Wetter: 29 Grad, Regen, Sonne, Regen, Sonne