Er ist der einzigartige, der wahre, der legendäre Christiooon. 

Mit viel zu schwarz gefärbtem Haar, getuschten Wimpern und deutlich zu viel Make-up verzaubert er nicht nur die Damenwelt der MSC Meraviglia. Wie ein Dompteur steht er in der Manege, umringt von ihm zufliegenden heiß glühenden Herzchen jeden Alters. Er ist da! Christiooon, der Hero der Baumwollepuschel und Seidenraupen! Der Held von Polyester und Synthetikfasern. Phonetisch läßt er sich feiern. Feiern wie ein Rückkehrer aus Armageddon, der Erfinder des Penicillins und der Entdecker der Backstreetboys. Er, der Kolumbus der Handtuchwickelmethode und Serviettenhutfalttechnik. Er, der aus gestärkten Bettlaken zartfliegende Ballkleider zaubern kann. Er, der aus Stofffetzen und Straußenfedern viktorianische Karnevalskostüme knote. Er, der mit Kaugummi und Zahnseide einen ganze Jogginghosenkollektion für Übergewichtige basteln kann und der bei einem Notfall der Erste im Rettungsboot wäre, aber der Bestangezogenste. Ich glaube, ich habe ihn heute morgen über das Wasser laufen sehen. Jetzt steht er vor mir, der Meister des Chiffon und Filz, von Jute und Samt, Damast und Flanell. Christiooon!

Ich bin fasziniert von seiner flinken Händen und seiner Knot-, Binde- Falt- und Stecktechnik. Am Handgelenk ein Nadelkissen, an dem er sich immer wieder verheddert. Vermutlich trägt er dort sonst sein goldenes Armbändchen. 

Mit geübten Griffen und unwiderstehlichem Lächeln knotet er ein muskulöses Modell ein und aus. Es fliegen Federn, Ohrringe, Halsketten. Ellenlange Handschuhe und Hüte wurden an- und ausgezogen. Und der Meister war sichtlich stolz auf all seine Kreationen. Geadelt wurde Christiooons Instant Fashion Show mit einem Brautkleid, dass er aus einer handgeklöppelten Tischdecke mit Lochstickerei und einem Blumenstrauß aus Stoffservietten breitarmig und mit stolzgeschwelter Brust unter den gewaltigen Klängen epischer Musik präsentierte. Christiooon, knote mir einen Bikini!!!

Route: vom Nordkap nach Hellesylt/Geiranger
Wetter: keine Ahnung, war nicht draussen

Am Nordkap ist übrigens alles immer das nördlichste von der ganzen Welt. Es gibt hier das nördlichste Fischerdorf, das nördlichste Fahrrad, die nördlichste Tankstelle, den nördlichsten Weihnachtsdekorationsladen, den nördlichsten Kindergarten, den nördlichsten Campingplatz, die nördlichste Angelroute und immer so weiter. 

Ach ja, übrigens für die Klugscheißer und Besserwisser unter Euch: Das Nordkap mit Globus und Souvenirladen befindet sich nicht auf dem Festland, sondern auf der vorgelagerten Insel Magerøya und ist damit nicht der nördlichste Punkt des Europäischen Festlandes. Damit geht der Sieg an die Landzunge Kinnarodden mit 71° 08′ 01″ nördlicher Breite auf der Nordkinnhalbinsel gleich nebenan.

Wenn ich mal allein sein will, stelle ich mich im Baumarkt an den Infostand. 

Der Globus am Nordkap ist definitiv der falsche Ort für Meditation und Einsamkeit. Die Skulptur ohne Menschen fotografieren zu können ist genauso wahrscheinlich wie das diesjährige WM-Finale mit der Deutschen Nationalelf. Alle kommen sie hierher. Ob mit dem Fahrrad, zu Fuß, im Auto oder in Reisebussen, die in ihrer Anzahl stark mit den Wohnwagen konkurrieren. Das Nordkap ist eben die Pilgerstätte des Nordlandreisenden. Hier geht es zu wie in der Elektronikabteilung am Black Friday oder bei einer Autogrammstunde der Wildecker Herzbuben. Blinde können wieder sehen, Alte wieder gehen. Hier am Nordkap geschehen Wunder.

Genauso hoch frequentiert wird der Souvenirladen. Denn wer will nicht vom nördlichsten Punkt Europas, um exakt zu sein: 71° 10′ 21″ nördlicher Breite, 514 km nördlich des Polarkreises und 2100 km südlich des Nordpols eine Tasse oder ein Stück gut riechende Seife für den Preis von 2 Mallorcaflügen im Schrank sein Eigen nennen? Hier wird alles verkauft, was im Kofferraum, in Tüten und Handtaschen Platz findet. Sogar Zertifikate für das Erreichen des Nordkaps werden hier vertickt. Was genau war jetzt die Leistung? In den Bus zu steigen, 50 m zum Plateau zu spazieren und durch Fotos fremder Menschen zu laufen? Ich distanziere mich von diesen Urkunden und Nachweisen und hab noch exakt 7 min Zeit um nach Seife und Tassen zu schauen.

Fast ignoriert wird das Mitternachtssonnendenkmal auf dem Plateau. Ich gebe zu, ich habe auch erst von Google von seiner Existenz erfahren, aber die kleine Stiefschwester vom großen Globus bot immerhin ein menschenfreies Panoramabild. Und so konnte ich mit dem Gänseblümchen am Wegesrand glücklich meinen Tag beenden. 

Ach ja, seit 6 Tagen oder so geht die Sonne nicht mehr unter. Das heißt, hier ist es rund um die Uhr taghell und ich habe mein Zeitgefühl längst verloren. Mein Magen erinnert mich in regelmäßigen Abständen daran, das Kinderbuffet aufzusuchen. Verrückt, was die Natur so alles drauf hat.

Ort: Honningsvag, Nordkap
Wetter: Sonne mit Wolken, 8 Grad, das Nordkap voll vernebelt

Das einzig Gute an dieser Vorstellung waren die drei Gemüsechips und das hausgemachte Schokoladenmacaron, das auf einem kleinen Tellerchen am blauen Samtsesselchen auf mich wartete. Der Welcome-Cocktail mit der roten Macarena-Kirsche und der weiß-wässrigen Flüssigkeit mit Rosmarinstengel sollte vermutlich ein experimenteller Gruß von der Bar sein, entpuppte sich jedoch als geschmacksneutral und wenig trinkenswert. 

Im Vor-Cirque-du-Soleil-Programm sang eine Brasilianische Sängerin brasilianische Volksweisen und ließ sich von 2 brasilianischen Musikern mit brasilianischen Rhythmen begleiten. Sie trug die Frisur einer Reinigungsbürste, wie man sie im Spülbecken der heimischen Küche kennt. Ihre Kleidung hat sie sich sicher von Modekreateur Christiooon von „Chrsitiooons Mode Instant Fashion Show“ geliehen. Der kann nämlich aus 2 Tischdecken und einer Stoffserviette ein Cocktailkleid mit Hut zaubern. Irgendwann war ihr Repertoire an brasilianischen Liedern mit brasilianischen Klängen zu Ende und meine Härchen in meinen Öhrchen begannen sich wieder normal zu verhalten.

Die Show war ganz ok. Das Thema habe ich leider nicht verstanden. Ich vermute, es ging um einen kreativ stark eingeschränkten Maler, der mit Hilfe von LSD oder Chrytal Meth und einem bunten Sortiment an Medikamenten, die es definitiv nur unter dem Apothekertisch gab, bunte Kreise und Quadrate sah und sich auf die Suche nach seiner Muse machte. Auf dem Weg dorthin begegnete er unlustige Clowns und komischen Charakteren, die sich mir auch nach dem Trinken des geschmacklosen weißen Cocktails nicht erschlossen haben. Am Ende war irgendwie alles gut oder ich hab auch das nicht begriffen. Vielleicht reicht mein Horizont auch nur vom blauen Samtsessel bis zum Kinderbuffet. 

Heute ist Tag der Eisbären. Ich werf mir nen weißen Pelz über, futter mir ordentlich was an und erschrecke hier und da den ein oder anderen Kreuzfahrttouristen. Mein Gemütszustand ist dem eines Eisbären nicht unfern. Er lässt sich äußerst schlecht vorhersagen, genau so wie der eines Topmodels. Hungrig? Neugierig? Aggressiv? Heute ist von allem etwas dabei.

Am Buffet ist er eher als aggressiv einzuordnen. Denn all die Menschen, die nur Singen und Klatschen in der Schule hatten, trödeln gemächlich auf der Überholspur vor sich hin und blockieren die eiligen Rechtsabbieger, die noch schnell vor Buffetschluss und der einbrechenden großen Hungersnot das ein oder andere frisch gebackene Pizzastückchen auf den Teller legen möchten. Ja, die Pizza hat mit der Arzt verschrieben. Dr. Oetker.

Hungrig war ich den ganzen Vormittag nicht. Denn erst um 14 Uhr hat sich mein Körper entschieden, wach zu werden. Wowowowowowou, falsch, zurück…. Denn erst um 14 Uhr habe ich meine Augen mit einem vorsichtigen Aufschlag öffnen können. Gesicht und Körper fühlen sich an, als wären sie als Sieger von einem Boxkampf der Schwergewichtsklasse aus dem Ring gestiegen. Ich überlege kurz was mir nicht weh tut. Oh, da links, die eine Haarspitze scheint nichts abbekommen zu haben. Ich fühle mich tatsächlich wie Nachbars Lumpi, den ein Schwerlasttransport an der Kreuzung mehrfach überfahren, wieder zusammengenäht und weitere 3 Male überfahren hat. 

Ach ja, und ich habe Kopfweh. Ich glaube, mein Heiligenschein drückt.

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Route: Von Spitzbergen zum Nordkap
Wetter: grau in allen Schattierungen, Seegang ok

Steine haben schon etwas sehr beruhigendes. Sie sind so still und leise. Sie sind einfach nur da. Und es waren so viele da! Bergeweise! Große und kleine, dicke und runde. Wohl geformte und hübsche bunte war auch dabei. Steine, so weit das Auge reichte. 

Wer riecht hier eigentlich so stark nach Husky?

Die Aufgabe des Tages war es, in Steinen eingeschlossene Fossilien zu suchen. Witzig. Ich kann schon meine zweite Socke im Kleiderschrank nicht finden, wie bitte soll ich da einen Blattabdruck auf einem Stein von Milliarden rumliegender Steine finden? Aber hey, ich vergaß, ich bin Supergirl! Und schwupps, ohne Hämmerchen schon das erst Stengelchen in einem grauen Steinchen gefunden. Der Jubel war groß! 

Und es riecht immer noch nach Husky.

Der Aufstieg auf den steilen Berg war eine Herausforderung. Der Abstieg zwischen Geröll und Steinen eine Mutprobe. Aber hey, ich bin Supergirl und rieche nach Husky. Da ist es eine Frage der Zeit, ein Steinchen mit einem Blätterabdruck zu finden. Und schwupps, da hatte ich ihn gefunden. Den einen Stein mit einem Jahrmillionen alten Blätterabdruck. Was mach ich nun damit? Ihn ins Museum tragen oder als Briefbeschwerer nutzen? Ich weiß, ich werde ihn einfach das nächste Mal beim Tischtennisturnier dem hochgewachsenen Aaron an den Kopf werfen.

Er heißt Birken. Groß, gutaussehend, stark, attraktiv, muskulös. Eine Augenweide für jedes Mädchen. Er kann sie alle haben. Ein ganzer Kerl. Seinem wachsamen Blick entging nichts. Für meinen Geschmack ist er zu sehr behaart und sein Halskettchen schien mir etwas zu überdimensioniert. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Birken hatte ein eigenes Häuschen mit kleinem gepflegten Vorgärtchen und einem Namensschild an der Haustür.

Birken. Er ist es! Es hat auf Anhieb zwischen uns gefunkt. Hätte er starke Arme, würde er mich durch ganz Spitzbergen tragen und noch viel weiter. Ich war tief gerührt und hatte ein kleines Tränchen im Augenwinkel als er mir seine Pfoten auf die Schultern legte und ins Gesicht sabberte. Birken.

Ja, fein! Gut gemacht! Na wo ist denn der Birken! Ja fein!
Hecktisch und hochgradig erregt springt er in seinem Vorgarten rum und kann es nicht erwarten, in sein Geschirr zu steigen und vor den Schlitten gespannt zu werden. Ein ohrenbetäubender Tumult brach aus, als alle Hunde zusammengesammelt und für den Ausflug vorbereitet wurden.

Neben Birken zogen Missy, Obelix, Lumi, Odin und Luna unseren Sommerschlitten. Gelenkt und gefahren von mir. Dem Supergirl! Ja, es ist nicht immer leicht ein Supergirl zu sein. Aber ich komme zurecht. Und nein, ich hatte keine Ahnung, was ich da tue, aaaaaber ich überrasche mich gern auch mal selbst.
Na dann … READY HIKE!!!!!

Bedauerlicherweise war der Huskyschlitten vor mir im Spaziergang unterwegs, sodaß ich die Handbremse unter Dauerbelastung halten musste. Nun ja, manche fahren eben so langsam, die werden nicht geblitzt, die werden gemalt.

Ort: Longyearbyen auf Spitzbergen
Wetter: 5 Grad, Sonnenschein

Würde ich die Übelkeit im Kopf und Magen genießen, wäre ich Achterbahntester in Freizeitparks geworden. Da bereits das Zuschauen der drehenden Bewegungen der Kinderkarussells auf Weihnachtsmärkten und Stadtfesten bei mir erste Übelkeitserscheinungen auslöst, war diese Nacht kein Spaziergang. Wellen, mindestens 3 m hoch und Windstärke 8 aus allen Richtungen ließen mich überlegen, die farbenfrohe Schwimmweste mit Trillerpfeife und modischen Leuchtstreifen an den Seiten aus dem Verschlag von Deck 6 zu holen und mich wartend mit dem nötigsten im Gepäck vor eines der Rettungsbote zu stellen. Ich hatte gelernt „ Der frühe Vogel ist nie zu spät.“ Doch ich bin bei diesem Seegang nicht einmal unbeschadet bis zur Kabinentür gekommen und so entschied ich, mich meinem Schicksal mit einer satten Überdosis an Reisetabletten und -kaugummi zu ergeben und inständig zu hoffen, bei Erwachen nicht in das hungrige Maul einer übellaunigen Tiefseekrake zu schauen.

Mit unterdurchschnittlich niedrigen Erwartungen gingen wir zum hochgepriesenen Musicalabend – und … wir wurden nicht enttäuscht. Versprochen wurde „Best of Musical“ und mir war verdammt klar, was das zu bedeuten hatte. Memmmmmmmmmrieeeeeeeeeees und ein fürchterliches Katzengejammer bei Mondschein sowie weitere Highlights der internationalen Musicalhochkultur.
Das Publikum warf sich in die schillerndste und nicht immer vorteilhafteste Abendgarderobe und applaudierte mir einen Tinnitus ins Ohr. Ich konnte nicht deutlich zuordnen, ob mir vom Zuhören oder vom immer stärker werdenden Seegang übel wurde.
Ich hätte wetten können, das eine Stück war „Die Schöne und das Biest“. Die Melodie kannte ich von einer Glückwunschkarte. Fast wollte ich leise mit summen und Interesse heucheln. Doch der singende Kerzenständer kam die ganze Zeit nicht auf die Bühne und das irritierte mich ein wenig. Am Ende war es dann der „Glöckner von Notre Dame“. Ich war so verdammt nah dran!

Memo an mich: Ich bin viel zu jung für diese musikalischen Darbietungen der italienischen Weltklassetenöre und Hochleistungssophranistinnen.

Trotz Einrechnung der erheblichen Schiffsschwankungen sowie der äußeren Wetterbedingungen und unter Berücksichtigung der aktuellen Erdrotation und Sonnenstand, war es mir bedauerlicher Weise nicht gelungen, den exakten Kurs der leberwurstgrauen Bowlingkugel zu berechnen, um stolz mit einem güldenen Lorbeerkranz den Platz zu verlassen. Aber es gibt ja ein Trostpflaster. Ich wusste, das Kinderbuffet ist nur eine Bowlingbahnlänge von mir entfernt und damit auch diese kleinen leckeren rosafarbenen Baiserkekse in Reichweite.

Strand. Weißer Sand. Strahlend blauer Himmel. Langsam versinkt die gelbe Sonne am Horizont. Noch blendet Ihre Strahlkraft meine müden Augen. Seichte Wellen plätschern geschmeidig an den unendlich langen Strand. Ich höre aus der Ferne leise Panflötenklänge. Zwei glückliche und in sich ruhende Menschen mit zwei sportlich trainierten Rennpferden, die mein Kennerauge sofort als Spitzengalopper identifizieren kann, reiten glückselig in den Sonnenuntergang am Beach von Malibu. Ich bin mittendrin, aber nicht mal ansatzweise dabei. Warum steht vor mir auf dem Bildschirm noch 23 Minuten 19 Sekunden??? Und Scheiße! Warum habe ich kein Pferd! Gut, mach das Beste draus, denke ich im Angesicht meines mir in Bächen von Gesicht rinnenden Schweißes. Laufe doch einfach mal den beiden buddhistischen Reitern nach und schau mal, wer Erster an der Tränke ist. Wobei, Obacht! Zu nah darf ich nicht aufschließen, sonst wird mir der hochgezüchtete schwarze Wallach sein Hufe in mein hochrotes Gesicht treten.

Frage: Warum nehm ich denn jetzt nicht das wunderbare weiße Handtuch, reiße mit die Jogginghose vom Leib und hüpfe einfach ins 30 Grad warme Wasser von Malibu?

Einen Augenblick nicht aufgepaßt und den Gedanken nachgehangen und schon sind die Pferde hinter einer Düne verschwunden. Ich dreh durch! Jetzt lauf ich seit eineinhalb km den beiden Kleppern in nicht mehr messbaren Tempo hinter und dann darf ich sie am Ende nicht mal streicheln?

Was zieh ich bloß heute Abend an? Jetzt, wo ich so viel abgenommen habe, passt mir ja nichts mehr.

Nachtrag: Das äußerst unvorteilhafte Badezimmerlicht bringt bedauerlicher Weise eine andere Realität zum Vorschein.

Route: Von Tromso nach Spitzbergen
Wetter: so was von wenig schön

Seilbahn:
Der kluge Tourist kauft sein Ticket für die Seilbahn im Internet vorab und drängelt sich damit rücksichts- und gewissenlos an den 350 wartenden Touristen mit einem breiten Lächeln im Gesicht vorbei. Gut, laut winzigkleingedruckter Bemerkung auf den Tickes hat dieses keinen Vorrang, aber wer von den vielen wartenden Gästen weiß das schon? Und wir wollten ja auch noch auf dem Berg sein, bevor die Schneeschmelze einsetzt, ne?

Polaria:
Hier war es lustig. Die kleinen verspielten Wassertierchen, die im Anfassbecken darauf warten, sich blitzartig um deinen ausgestreckten Finger zu wickeln um dich dann in das seichte Wasser zerren zu können, sind wirklich lustige Gesellen. Hübsch zurechtgemacht, bewegungslos und in Angriffsstellung lungern sie am Beckenrand und warten auf ihre menschliche Beute. Sind diese gefährlichen Räuber des Meeres, Tiere oder Pflanzen? Man weiss es nicht. Egal. Die Verlockung ist riesig, die wabernden Ärmchen der winkenden Weichlebewesen zu berühren und trotz all dem gelerntem Wissen das die Tele Tubbies an ihre Zuschauerschaft vermittelten, und trotz der hochwissenschaftlichen Beiträge aus “Welt der Wunder“ und „Alfred Brehms Tierleben“ tust du es trotzdem. Vorsichtig steckst du den Finger ins Wasser und schwupps, klammern sich ihrer Ärmchen an ihm fest. Haben sie dich erst einmal in ihren Würgegriff, gibt es kein Entrinnen mehr, sie kleben an dir und weil es so lustig ist machst du es mindestens noch 4 bis 8mal.

Robben:
Nachdem wir die Futter und Spielezeit knapp verpasst haben, dümpelten diese fettleibigen Tierchen nun im Wasser glückselig vor sich bin. So viel gab es hier tatsächlich nicht mehr zu sehen. Es war irgendwie wie die Impressionen einer Zugfahrt durch das Voralpenland, die als Bildungsfernsehen irgendwann zwischen 2 und 4 Uhr nachts im Ersten läuft.

Ort: Tromso
Wetter: ganz ansehnlich, 14 Grad

Universalzeitschiene. Ein Begriff den ich heute während unserer Schiffsbegehungstour „Hinter den Kulissen“ gelernt habe und den ich gern für meinen weiteren beruflichen Werdegang nutzen möchte. Die Unwissenden unter Euch mögen denken, der Begriff beschreibt den kürzesten Weg zwischen zwei Wurmlöchern oder die interstellare Verbindung im Raum-Zeit-Kontinuum auf der nördlichen Hemisphäre. Weit gefehlt. Ich als modebewußter Kreuzfahrer und allwissender Weltenbummler möchte gern zur Aufklärung beitragen. Die Universalzeitschiene wohnt im Computer von Massimo, dem Italian Stallion aus dem Entertainmentdepartment der MSC Meraviglia und sie sagt ihm, wann es an der Zeit ist, auf den richtigen Knopf zu drücken. Also wenn ihr mich fragt, das könnte auch Bernhard, der rüstige Rentner aus der linken Nachbarkabine, dessen ältere Frau gern unbekleidet auf dem Balkon nach Walen Ausschau hält.

11:32 Uhr – wir überqueren den nördlichen Polarkreis.

Zwei transsexuelle und vollkommen überschminkte Meerjungfrauen und ein weißgelockter, dickbäuchiger Neptun, mit mehr Nase im Gesicht als die ameisenschnüffelnde Blaue Elise, liefen begleitet von oberkörperfreien Schnittchen und sonstigem Getier über die Promenade von Deck 5. Sie warfen mit Wassertröpfchen bunten Blumenkettchen und tauften das wilde Partyvolk zur Polarkreisüberquerung. YMCA schien mal wohl auch aus dem Meeresgrund zu kennen. 

Ab jetzt geht die Sonne nicht mehr auf und unter. Sie ist quasi immer da. Dunkelheit gibts jetzt nur noch auf der Kabinentoilette, wenn man das Licht vergessen hat anzuschalten.

Wie lange wird es dauern, bis meine Jogginghose begreift, dass sie wohl niemals joggen wird. Das fragte ich mich heute morgen, als ich am Frühstücksbuffet vor den verlockend duftenden Pancakes mit Ahornsirup und Schokoladensauce stand. Ich muss ihr Alternativen bieten, bevor sie sich eines nachts spontan entscheidet mehrere Kleidergrößen einzulaufen, sich eng um meine Oberschenkel schmiegt und man mir die Hose operativ entfernen muss.

Tischtennis:
Die Wartezeit auf die Tischtennisschläger sind enorm. In dieser Zeit schaffte ich es entspannt, 2 Mal zum Kinderbuffet auf Deck 15 zu schlendern und mir diese kleinen, leckeren, rosafarbenen Baisertötchen in die Handfläche zu stapeln. 

Das Tischtennisturnier verlief unplanmäßig. Eigentlich wollte ich den kleinen sechsjährigen blonden Jungen mit dem schlechten Haarschnitt abziehen, der mir beim Kinderbüffet bereits mehrfach unangenehm auffiel. Bedauerlicher Weise stand mir Aaron gegenüber. Ein hochgewachsener zartdünner Endteenager mit schulterlangem flusigem Haar. Wir hatten starke Ballwechsel, begleitet von unbändigem Applaus, doch Aaron entschied sich, mich einfach nicht gewinnen lassen zu wollen. Ich kann dazu nur sagen, man trifft sich immer 2 x im Leben und ich bin sicher, noch 10 Mal hier auf diesem Schiff. Dann werd ich Aaron in einen Gitterwagen einsperren und mit Ping Pong Bällen bewerfen.

Route: von Alesund nach Tromso
Wetter: gab es nicht, grau, neblig, regnerisch

Ich: Wieviel Stufen noch. 371? Whaaaaat?
Ich: Boh, ist das warm.
Ich: Wann sind wir endlich oben?
Ich: Boooooooh, ist das warm. Eigentlich ist es ja sogar heiß. Ganz schön heiß.
Ich: Ich brauch Wasser. Waaaaaaasseeeeeeeer!
Ich: Menno. Wieso ist das so warm. Warum hab ich eigentlich die dicke Winterjacke an?
Ich: Kannst Du meine Jacke in Deinen Rucksack packen?
Ich: Hallllooooo, wieviel Stufen noch?
Ich: Was? 320? Da waren wir doch eben schon.
Ich: Ich brauch ne Pause.
Ich: Boh! Ist das hoch.
Ich: Warum haben wir nicht die Bimmelbahn genommen?
Ich: Hallloooooooooo, wiiieeeeeviiieeeel Stuuuuufen noch?
Ich: Was?
Ich: Hä?
Ich: 260?
Ich: Du lügst!
Ich: Waaaaaaasseeeeerrr!
Ich: Pause! Jehetzt!
Ich: Sach ma, es wird doch immer wärmer hier oben, oder?
Ich: Ich brauch Sonnencreme.
Ich: Stufen?
Ich: Stufen!
Ich: STUUUFEN!!!
Ich: Wieviel STUUUUFFFEEENNNNN noch?
Ich: 136!?!? Das kann nicht sein. Dann stehen falsche Zahlen auf den Treppen!
Ich: Wasssseeeer! Sonnencreme! Hunger!
Ich: Kamera…., kannst Du meine Kamera tragen?
Ich: Kannst Du mein Wasser tragen!
Ich: Wie weit ist es denn noch?
Ich: Kannst Du mich tragen. Biiiiiiiite!
Ich: Wieviel noch?
Ich: Hä?
Ich: Noch 9 Stufen?!
Ich: Kinderspiel. Locker, das schaff ich hüpfend, entspannt und ohne Picknickpause. Und nun hör mal endlich auf zu nölen, sonst fährst Du mit der Seniorenbimmelbahn nach unten!

Ich: Memo an mich: Augen auf bei der Auswahl der Reisebegleitung!

Hinweis: Dieses Aufzeichnung ist ein Gedächtnisprotokoll und kann unter Umständen leichte Spuren von Wahrnehmungsstörungen beinhalten.

Ort: Alesund
Wetter: sonnige 14 Grad, strahlend blauer Himmel

Auf diesem Schiff gibt es eindeutig zwei Klimazonen. Eine vorn und eine hinten. Mit vorn meint der durchschnittliche Kreuzfahrttourist den Bereich, wo ihm der stürmische arktische Wind sein faltendurchfurchtes Gesicht glättet und den Sucher der Kamera so tief in die Augenhöhle implantiert, das dieser operativ entfernt werden muss. Während man sich also vorn vom Schiff botoxfreie Gesichtsstraffungen unterziehen und mit einer kompletten Wintersportausrüstung den peitschenden Wind auf den meterhohen Wellen zuschauen kann, liegt hinten schmunzelnd der gemeine Mallorcaurlauber mit Sonnenschutzfaktor 6 und kurzem Tangahöschen, um sich die drahtigen Beine zu bräunen. Bei sommerlichen Temperaturen und einem lauen Lüftchen dümpelt er friedlich auf seiner Sonnenliege vor sich hin, während sich vorn auf dem Schiff dramatische Szenen abspielen. Die Bordnews berichteten am Abend von einigen Gästeverlusten, die eine kurze unbedeutende Erwähnung fanden. Immerhin wirken sich Verluste positiv auf das Gewühle am Buffet aus. 

Route: Hamburg-Alesund
Wetter: 11 – 14 Grad, sehr, sehr, verdammt windig. Stürmchen.
Nachtrag: Sturm ist erst, wenn die Dauerwelle von Hilde am Nachbartisch keine Locken mehr hat.

Ich frage mich, wie kalt es in Hamburg wohl vor der globalen Erderwärmung gewesen sein muss. Ich denke, es hatte eine durchschnittliche Sommertemperatur von um die drei Grad. Vermutlich schwammen auch Eisschollen mit Pinguinkolonien gemächlich an der Elbphilharmonie vorbei während man sich bei Luigi am Pizzaofen wärmte und mit Fernet Branca die Sommerzeit schön trank. 

Während in Berlin meine Pflanzen auf der Terrasse nach einem schattigen Plätzchen und Wasser winseln und sich das Eichhörnchen bei der Nüssesuche die kleinen Füßchen auf den Bankiraibrettern verbrennt, steht Hamburg kurz vor dem Wintereinbruch. Frisch ist es. Ganz schön frisch. Und grau und kalt ist es auch. 18 Grad, schwere Wolken. Erwähnte ich, dass es grau ist und kalt? Wenn dass die Vorboten auf Norwegen sind, dann gute Nacht Marie. Augen auf bei der Routenwahl. Wie gut dass ich bei der Gepäckauswahl dem Handwärmer den luftigen Sommerkleidchen den Vorzug gegeben habe. Manchmal muss man eben Glück haben.

Mit dem immer wieder gern gehörten und niemals nervenden Welthit „time to say good-bye“ schlichen wir langsam aus dem Hamburger Hafen. So leise und langsam, dass nicht mal ein Trekkingsystem Bewegung feststellen konnte. Die Wolken wurden dunkler, der Nebel dichter. Ein  Detox-Hot-Cinnamon-Chai-Latte wäre definitiv die bessere Wahl zum alkoholfreien Mojito mit 80% Crased Ice gewesen. 

Auf Wiedersehen Hamburg, auf nach Norwegen zu den Elchen und Eisbären.

Ort: Hamburg
Wetter: gruselig und kalt, sehr, sehr kalt.