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All posts for the day Dezember 10th, 2013

Es gibt hier jeden Tag so viele Entscheidungen zu treffen, dass ich kurz überlegt hatte, mir eine Exceltabelle mit Wenn und Dann-Formeln anzulegen. Um anschaulich einige Beispiele zu nennen: Leg ich mich in die Sonne oder in den Schatten. Auf das Lido-Deck, wo mich vermutlich der hawaiianische Sänger sucht, oder doch besser auf meinen eigenen Balkon. Was esse ich wie viel zum Frühstück. Geh ich jetzt nen Kaffee trinken oder eher später. Pilates oder Yoga. Erdbeer-Vanille oder Vanille-Schoko. Lesen, schreiben oder schlafen. Bingo oder Hula-Tanzkurs. Zähne bleichen oder Nägel lackieren. Langsam wird das alles sehr unübersichtlich und fängt an, mein Gehirn aufzuweichen. Aber eines weiß ich heute schon: Morgen esse ich Omelett.

Nach all diesen schwer zu beantwortenden Fragen war ich mehr als dankbar, eine Einladung zu einem festen Datum, zu einer festgelegten Zeit, an einem definierten Ort bekommen zu haben. Mittwoch, 11. Dezember von 15.30 Uhr bis 16.15 Uhr wird unsere Anwesenheit im Phantom-Theater zu einem VIFP-Empfang (Very Important Fun Person) für Gold-, Platin- und Diamantkartenbesitzer gewünscht. Ich dachte kurzfristig, mein Leiden würde gelindert, aber Nein!!!, der Höllenschlund öffnete sich erneut und es sprudelten mehr und noch mehr Fragen heraus: Geh ich hin, oder nicht? Wenn ja, was soll ich anziehen? Weiße Hose, Ringelshirt? Kleid mit Lackschühchen? Pinkfarbene Bluse mit Chino? Vorher noch mal waschen, schneiden, fönen? Nägel feilen? – Ich muss mich jetzt erst mal bei einer Fußreflexzonenmassage entspannen gehen, denn die verspricht, alle Probleme zu lösen.

Heute war ein besonderer Abend, der auf jedem Schiff bis zur persönlichen Geschmacklosigkeit zelebriert wird. Das Kapitänsdinner.
An diesem Abend sieht man Kleider, die nicht für ausladende Körperformen entworfen wurden, Frisuren, die Vidal Sassoon erst noch erfinden muss und Schuhe, in denen selbst ein Victoria Secret Model Schwierigkeiten hätte zu laufen. Selbstverliebt und mit Stolz erhobenen Blick flanieren sie die Gänge entlang, bewundern gegenseitig ihre Garderobenwahl und fiebern einem Foto mit dem Kapitän entgegen. Ein Highlight ist es, sich an der Fotostation zu positionieren, vor der die Gäste sich im Sonnenuntergang, vor einer riesigen Holztreppe, in einem entzückenden Blumengarten oder mit bunten Weihnachtsgeschenken fotografieren lassen können. Noch 200 Prozent Weichzeichner drüber und fertig. Ja, hier werden sie gemacht, die Fotos, die in jedem guten amerikanischen Film auf dem Kaminsims zu finden sind. Olli, ich und eine Handvoll Abtrünniger genießen das Schauspiel vor den Leinwänden.

Um einige dieser Bilder schnell wieder aus dem Kopf zu löschen, gehen wir an die Kasinobar. Ein alter Mann setzt sich neben mich auf den Hocker und erzählt mir irgendwas durch seine Zahnlücke. Dann nahm er sein Basecap vom Kopf und zeigte mir voller Stolz den gelb gestickten Schriftzug Vietnam. Ja, denke ich, auch ein schönes Land, mein Bruder war schon mal da. – Hätte ich gestern mal beim Veteranentreffen reingeschaut, hätte ich vermutlich eine andere Antwort gegeben.

Ich entschied mich den Klängen des hawaiianischen Sängers hinzugeben, der hinter der Bar mit seiner E-Gitarre für bessere Stimmung sorgte. “I wanna sleep with you on the Lido-Deck”, zwinkerte er singend. Puh, mit so viel Offenheit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ich war froh, das meine Reisebegleitung sein Geständnis nicht hörte, denn er zeigte derweil vier Ladies älteren Semesters, seinen narkotisierenden Hüftschwung.

Auf dem Weg in die Kabine stoppte ich noch kurz im Frankensteins Lab. Die Disko hielt, was ihr Name verspricht. Zutritt ab 21, mit Ausweiskontrolle. Ich lächelte den Türsteher an, sah, wie er mit schnellem Blick meine bei diesem schmeichelnden Licht kaum zu erkennenden Augenfältchen zählte und gewährte mir ohne Vorzeigen des Ausweises Einlass. Hm.

Hawaiianisches Wort des Tages:
po ‚alua – Dienstag

Windstärke: 8 km pro Stunde
Wetter: 23 Grad, schön sonnig

Es gibt definitiv Schlimmeres, als auf einem sonnendurchfluteten Balkon zu sitzen, auf das Meer zu starren, springende Delfine zu sehen, den Wellen zu lauschen und zu denken: boh, ist das heiß hier. Eine Wurzelbehandlung fällt mir da spontan ein oder Filme von Fettabsaugungen. – Ich sollte aufhören, mir alles bildlich vorzustellen.

Am dritten Tag auf See befinden wir uns weiterhin im hochkonzentrierten Energiesparmodus. Hin und wieder fühlen wir gegenseitig unseren Puls, nur um sicher zu gehen, dass die Grundfunktionen noch arbeiten. Alles soweit ok. Manchmal spielen wir Schnick, Schnack, Schnuck um auszuknobeln, wer aufsteht und die Fernbedienung holt.

Ob du willst oder nicht, irgendeiner stellt dann die Frage, die Angst und Schrecken im Raum verbreitet: “Was machen wir nun?” Hm. Minigolf. Super Idee. Wird aber spätestens nach der dritten Runde langweilig, wenn Du mit einem Opfer spielst und nicht mit einem Gegner. Danach erst mal ausruhen, schließlich handelte es sich um eine Aktivität, die etliche Kalorien verbrannt hat. Anschließend Essen gehen. Die Suche nach dem worauf man Appetit hat, erfordert viel Geduld und Entscheidungsfreude und verbrennt somit weitere Kalorien, sodass man sich ohne schlechtes Gewissen eine ganze Pizza, Pommes mit Mayo und als Dessert noch zwei große Portionen Eiscreme gönnen kann.

Ja, dann – oh warte, war da um 14:30 Uhr nicht das Megaevent beim Juwelier um die Ecke, der nach einer halbstündigen Powerpointpräsentation die Diamantringe mit 40% Rabatt verschleudert? Richtig. Das nächste Highlight, das man keinesfalls versäumen sollte. Gratis gibt es ein Schlückchen aus der guten Champagnerflasche.

Eine weitere anschließende Option wäre der Besuch des Seminars mit dem vielversprechenden Namen ” Iss viel und wiege weniger”. Ich wäre gern hingegangen und hätte mir die Ratschläge angehört, aber ein dicker Mann steckte im Türrahmen fest und versperrte den Eingang. Hm. Was nun? Erst mal eine Waffel mit leckerer Schoko-Vanille Eiscreme.

Auf dem Weg zurück in unsere Kabine sahen wir fürchterlichen schwarzen Qualm aus den Schornsteinen aufsteigen. Entweder haben die Jungs da unten eine Schippe Kohlen mehr drauf gelegt oder es gab ein Feuer im Maschinenraum. Hm. Wir haben Urlaub. Sollen sich doch die anderen um das Feuerlöschen kümmern. Wir müssen uns jetzt erst mal Ausruhen gehen.

Hawaiianisches Wort des Tages:
aloha auina la – schönen Nachmittag

Windstärke: 57 km pro Stunde
Wetter: 21 Grad, sonnig, mit hier und da ein paar Wölkchen